Die Erkenntnis kommt manchmal ganz plötzlich. Es geht in großen Schritten auf die 40 zu, vielleicht hat man diese auch gar schon eine Weile hinter sich gelassen. Man hat viel gesehen, viel erlebt, freut sich an den schönen Dingen des Lebens, der guten Uhr, den schönen Reisen und eigentlich ist alles so, wie man sich das immer vorgestellt hat.

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Doch auf einmal merkt man, dass es da ein Gefühl gibt, welches man schon sehr lange nicht mehr gespürt hat. Das Gefühl, das man beim Kauf seiner ersten Armbanduhr gehabt haben mag, das Gefühl, das beim ersten eigenen Sportwagen aufkam, ja vielleicht sogar ein Gefühl wie bei der ersten großen Liebe.

Es ist dieses Prickeln, welches Gänsehaut verursacht, welches die sprichwörtlichen Glückshormone ausströmen lässt, welches einen einfach vollkommen unkontrollierbar zum Strahlen bringt.

Doch wo ist es hin, dieses Prickeln, dieses kleine aber entscheidende bisschen mehr als normale Freude? Ist es wirklich abhanden gekommen, in all den Jahren? Wir begeben uns auf die Suche.

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Die erste Zutat für unsere ‚Mission ultimatives Prickeln‘, das ist ein adäquates Fortbewegungsmittel. Es ist ein Montag im August, kurz nach Acht Uhr am Morgen, als es an der Tür klingelt. „Firma Best Schick hier, ich habe eine Lieferung für Sie“.  „Klar, kommen Sie rauf.“ erwidere ich, worauf kurz Stille herrscht. „Äh nein, es ist ein Auto.“

‚Ein Auto‘ das ist eine bodenlose Untertreibung für das, was uns da mit einem Spezialtransporter frei Bordsteinkante geliefert wird. Das ist kein ‚Auto‘, das ist ein Bentley! Ein Continental GT Cabriolet. Mit zweifach turbogeladenem W12, 575 PS, 6 Liter Hubraum, 700 Nm Drehmoment, 314 km/h Spitze, 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Farbe: Dark Sapphire. Und das, was sich beim Anblick dieses Gefährts einstellt, das ist weitaus mehr als einfach nur Freude.

Es tut sich was. Ich verspüre leichte Nervosität in meiner Magengegend und ich bekomme schwitzige Hände. Aufregung! Das erste Öffnen der massiven Türe, das Einsteigen, dieser herrlich süße Geruch nach frischem Leder, nach feinsten Zutaten. Ich nehme auf dem schweren Sessel Platz, ergreife Lenkrad, Wählhebel, Armaturenbrett, das Holz, alles scheint wie aus dem Vollen gearbeitet, eine Verarbeitung, die mir in solcher Präzision und Perfektion so noch nicht untergekommen ist. Faszinierend!

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Hätte es ein besseres Fahrzeug für unsere Suche nach dem ultimativen Prickeln geben können? Auch wenn die Farbkombination aus hellgrauem Breeze und Imperial Blue, das Ganze garniert mit Holzapplikationen aus heller Tamo Ash, nicht unbedingt meine erste Wahl gewesen wäre bin ich mir schon nach wenigen Augenblicken sicher – Nein!

Den Wählhebel auf D gesetzt, rollt der Bentley langsam in Richtung Toreinfahrt. Aus den Lautsprechern der Naim Anlage, an die ich meinen iPod angeschlossen habe, erklingt „Jerusalem“, Hubert Parrys musikalische Interpretation des Gedichtes „And did those feet in ancient time“ von William Blake. Manche werden das Stück aus den Last Night of the Proms kennen. Es ist das perfekte, das einzig standesgemäße Musikstück für dieses Automobil. Bring me my chariot of fire!

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Mein erster Ausflug führt mich in den wunderschönen Rheingau. Über die alte Bundesstraße geht es in Richtung Eltville. Das Fahrwerk des Continental GTC ist auf Comfort gestellt und so gleitet meine kleine Straßenyacht geradezu sänftenartig durch das unwegsame Gelände, welches hier in Form von maroden Straßen und Baustellen auf uns wartet.

Das Fahrwerk des Bentley hat insgesamt vier Stufen, die via Touchscreen eingestellt werden können. Neben Comfort und Normal lässt sich Sport und Sport plus auswählen. Wirklich bretthart wirkt der GTC in keiner der Einstellungen, doch stellt sich zumindest das Gefühl ein, etwas mehr Kontakt zur Straße zu haben.

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Von Eltville geht es weiter nach Kiedrich. Am Ortseingang des beschaulichen Städtchens lauert eine kleine graue gestreifte Säule auf potente Geschwindigkeitssünder. Ein Blick auf den Tacho und es wird schnell klar, dass ich heute beinahe zu dieser Spezies zähle. Bei geschlossenem Verdeck schottet der Bentley seine Insassen akustisch extrem von der Außenwelt ab. Zwischen gefühlter und tatsächlicher Geschwindigkeit herrscht so zum Teil eine erhebliche Divergenz. Gefährlich für das Punktekonto, hier gilt es in den nächsten Tagen also gut aufzupassen.

Im geschlossenen Bentley herrscht, macht das Soundsystem einmal Pause, wirklich eine beeindruckende Stille. Außer einem nicht näher identifizierbaren hellen Pfeifen hört man schlichtweg nichts.

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Auf der Straße Richtung Kloster Eberbach entdecke ich einen kleinen Parkplatz und halte an. Ein perfekter Photospot. Ich öffne das Verdeck und steige aus. Die Sonne brennt vom blauen Himmel und ich finde mich augenblicklich in einer vollkommenen Einsamkeit wieder. Kein anderes Auto, keine Menschen, absolute Stille. Einzig von fern hört man das Zirpen einzelner Grillen. Die Stille, die Landschaft, das Auto – ein Moment, der mir wohl lange im Gedächtnis bleiben wird.

Die Stille bricht ab, als ich erneut den Startknopf betätige und damit den 12-Zylinder des Bentley zum Leben erwecke. Theoretisch ließe sich der Bentley auch mit dem Zündschlüssel starten. Dank Keyless Go aber kann der hochwertige große Klappschlüssel in der Jackett-Tasche bleiben. Das Zündschloss ist sportwagentypisch übrigens links des Lenkrads untergebracht. Das Startgeräusch stellt mir die Nackenhaare auf, weicht dann aber binnen Sekunden einem äußerst dezenten Summen. Im Leerlauf ist der W12 kaum hörbar, seine Wärmeentwicklung allerdings rund um das Fahrzeug jederzeit deutlich spürbar.

Kurz hinter Kloster Eberbach liegt die Domäne Steinberg. Die Zisterziensermönche des Klosters begannen hier im 12. Jahrhundert mit dem Weinanbau. Heute gehört Steinberg zu den Hessischen Staatsweingütern Kloster Eberbach, dem größten Weingut Hessens. Der im Jahr 2008 eröffnete Neubau des Steinbergkellers bildet zusammen mit den historischen Gebäuden eine perfekte Kulisse für ein weiteres kleines Photoshooting.

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Ich fahre zurück nach Kiedrich und entdecke ein interessantes Detail. 1981 nämlich erfolgte als 1000. deutsch-französische Städtepartnerschaft die Verschwisterung von Kiedrich mit Hautvillers, dem Ziel unserer Reise.

Doch bevor es gen Frankreich geht, hole ich zunächst meinen Kollegen Michael vom Flughafen ab. Als Experte für Wein und, wie ich, absoluter Freund schöner Dinge, ist er die perfekte Begleitung. Auf den folgenden 450 Kilometern ist viel Zeit, unseren fahrbaren Untersatz kennen zu lernen. Auch Michael, der für gewöhnlich äußerst kritisch ist, kann beim besten Willen nichts Negatives an der Verarbeitung „unseres“ Bentleys finden.

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Dies gilt indes nicht für die Bedienbarkeit. Hier muss man sich zum Teil sogar ganz erheblich umstellen. Das fängt schon bei der Betätigung des Blinkerhebels an. Dieser ist sehr weit unten am Lenkstock angebracht. In einer Position also, in der man ihn gewohnheitsmäßig nicht erwarten würde. So landet man beim Versuch, den Spurwechsel anzuzeigen, statt am Blinker dann auch zunächst recht regelmäßig an der linken Schaltwippe.

Will man den Continental GTC selbst schalten, stehen einem dafür zwei Schaltwippen zur Verfügung. Diese sind zum einen wirklich riesig und zum anderen fest am Lenkstock angebracht. Sie drehen sich somit nicht mit dem Lenkrad mit. Herauf- oder hinunterschalten in Kurven ist dadurch nicht möglich. Unverständlich.

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So belassen wir den Bentley auch weitestgehend in seinen Automatikprogrammen. Auf Stufe D stehen acht Gänge, in Stufe S derer sieben zur Verfügung. Zum Cruisen auf der Autobahn ist D perfekt, ansonsten kann die Reaktion auf die Befehle des Gaspedals nicht hundertprozentig überzeugen. Gibt man etwas Gas, hat man das Gefühl, es passiert rein gar nichts, steigert man den Druck auf das rechte Pedal, galoppiert der Zweieinhalbtonner dann irgendwann relativ unkontrolliert los.

Wesentlich sensibler, feinfühliger und direkter arbeitet die Automatik im S Modus, daher ist dieses auch meine erste Wahl abseits langer Autobahnstrecken.

Wir passieren die Grenze zu Frankreich und kommen zur ersten Maut Station. Ich stoppe und will das Fahrerfenster öffnen. Doch nichts passiert. Ziehen, drücken, das Fenster bleibt geschlossen. Dafür sehe ich auf einmal nichts mehr durch den Innenspiegel. Des Rätsels Lösung: in der Türarmatur sind in vorderster Reihe nicht die Kippschalter für die vorderen Fensterheber untergebracht sondern die Entriegelung für Tankklappe und Kofferraumdeckel. Letztere habe ich soeben aktiviert. Der Kofferraum ist nun offen, lässt sich durch die Taste aber nicht wieder schließen. Also aussteigen, die Taste am Kofferraumdeckel betätigen, schon schließt sich die Klappe unter den belustigten Blicken meines Hintermanns. Wie unangenehm! Das passiert mir garantiert auch nur einmal!

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Auf französischen Autobahnen gilt Tempo 130. Automatik auf D, Tempomat einschalten und dank Abstandsradar ganz entspannt dahingleiten – das hat schon etwas. Bedenken sollte man allerdings, dass das einstellbare Abstandsradar das Fahrzeug zwar abbremst, dieses jedoch nicht bis zum Stillstand bringt. Das Eingreifen des Fahrers ist hier also noch erforderlich.

Nach etlichen Kilometern entspannter Autobahnfahrt und ausgiebigen Gesprächen über Weine und deren Herstellung erreichen wir Châlons-en-Champagne. Zweifelsohne, wir sind angekommen. Wir sind in der Champagne.

Den zweiten Teil unserer Suche nach dem ultimativen Prickeln lesen Sie morgen, hier auf luxify!

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Fotos & Text: © Percy Christian Schoeler (PCS) 2013

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