Die erste Überraschung gibt es gleich am Morgen. Am frühen Morgen. Am sehr frühen Morgen. Am zu frühen Morgen. Aber, wer etwas sehen will von der Welt, der muss früh aufstehen. Speziell auf einer Kreuzfahrt und besonders dann, wenn das Kreuzfahrtterminal gute zweieinhalb Stunden vom eigentlichen Ziel entfernt ist.

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Ziel des Tages ist Ho-Chi-Minh Stadt, der Einfachheit halber folgend Saigon genannt. Saigon ist eines der Highlights auf der Asientour der Volendam. Entsprechend füllen die angebotenen Landausflüge und deren Beschreibungen auch Seiten.

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Ich habe mich im Vorfeld für eine Städtetour entschieden, bei der unter anderem das Stadtmuseum und der Wiedervereinigungspalast auf dem Programm stehen. Nicht dass ich wüsste, was mich erwartet aber so ein wenig eintauchen in die Geschichte kann sicher nicht schaden.

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Zurück zu besagter Überraschung. Die wartet am Pier in Form der bereitgestellten Landausflugsbusse. Denn diese sind äußerst modern, klimatisiert, ja sie haben sogar Wifi an Bord. Auch die Straßen zwischen Phu My und Saigon sind eine Überraschung. Perfekt ausgebaut sind sie und entsprechen damit so gar nicht dem, was ich erwartet hätte. Auf also zum Palast des Präsidenten – und damit zur wirklichen Überraschung des Tages!

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Wiedervereinigungspalast, so heißt das Gebäude in Mitten der Stadt erst seit 1975. Zuvor lautete der Name Unabhängigkeitspalast und alleine diese Namensänderung sagt viel über die Ereignisse, die sich hier am 30. April 1975 abspielten.

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Um 10:45 Uhr durchbrach Panzer Nummer 843 der nordvietnamesischen Armee die Absperrungen, kurz darauf bahnte sich Panzer Nummer 390 seinen Weg durch das Haupttor. Das Ende des Vietnamkriegs, es fand genau hier statt.

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Beide Panzer findet man übrigens auch heute noch im Park vor dem Gebäude. Sie sind eine Touristenattraktion wie der ehemalige Präsidentenpalast selbst.

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Jener wurde 1962 von Präsident Ngo Dinh Diem in Auftrag gegeben, nachdem der vorherige Palast bei einem Luftangriff zweier rebellierender Piloten der südvietnamesischen Luftwaffe schwer beschädigt wurde.

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Die Fertigstellung im Oktober 1966 erlebte Ngo Dinh Diem allerdings nicht mehr. Er wurde nämlich bereits drei Jahre zuvor ermordet. So diente der Palast von 1967 bis 1975 seinem Nachfolger Nguyen Van Thieu als Sitz.

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1966 – 2016 – hey! Jubiläum! 50 Jahre wird der Palast also dieses Jahr alt. Und wen man dann heute vor den großen Zäunen vorfährt, hat man so ein wenig das Gefühl, als sei hier die Zeit stehen geblieben. Inmitten der modernen, geschäftigen Metropole Saigon wirkt der Präsidentenpalast wie ein Relikt aus einer anderen Ära. Das 300 x 400 Meter große Areal ist umrahmt von vier Hauptstraßen, auf denen der hektische Verkehr immer wieder durch die große Anzahl an Touristenbussen gestoppt wird.

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Die Anzahl der Busse – und entsprechend auch der der Reisegruppen – ist enorm. Man sollte früh hier sein, möchte man mehr als nur Massen an Besuchergruppen sehen. Früh hier sein, das ergibt gleich doppelt Sinn. Denn von Minute zu Minute wird es heißer und noch dazu wirklich ziemlich schwül.

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Der Weg zum Eingang ist entsprechend anstrengend, ist man dieses Klima nicht gewohnt. Und auch im Erdgeschoss des Palastes tritt die erhoffte Linderung nicht ein. Es ist warm, es ist stickig. Es atmet sich schwer.

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Der Palast verfügt über 95 Räume, verteilt auf drei Stockwerke, zwei Halbgeschosse, und Keller. Insgesamt rund 20.000 Quadratmeter ist das vom Vietnamesischen Architekten Ngo Viet Thu entworfene Gebäude groß. Offiziell, so heißt es, wurde der Sieger zwar in einem Wettbewerb gekürt, doch dass der damalige Stararchitekt als Sieger hervor gehen würde, war wohl von Anfang an ausgemachte Sache.

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Die Grundform des Gebäudes ist dem chinesischen Zeichen für Glück und guter Zukunft nachempfunden. Gut, das kann ich mangels Kenntnis des Alphabets nicht bestätigen, nennen wir es daher einfach – es hat eine T-Form.

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Am Ende des großen Querganges geht es durch ein kleines Treppenhaus in den ersten Stock. Früher hätte man dazu freilich das großzügige, in rotem Teppich gehüllte Treppenhaus in der Gebäudemitte genommen, doch heute möchte man dieses dann doch lieber vor den Besuchermassen schützen.

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Im ersten Stock stellt sich dann unweigerlich ein echter, ehrlicher Aha-Effekt ein. Naturstein wohin man schaut, gerade Linien, luftige Korridore. Eine riesige Front aus zu öffnenden Glaselementen, beschattet von unzähligen Steinstelen in Bambusform, sorgt für ein angenehmes Klima.

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Es ist eine Architektur, wie ich sie an dieser Stelle so dann doch niemals erwartet hätte. Eine Mischung aus Moderne und traditionellen asiatischen Elementen. Ein wenig Bauhaus, viel James Bond. Große Konferenzräume in kräftiger Farbgebung, dahinter Büros, die während des Krieges als Kommandozentrale genutzt wurden. Auch hier scheint die Zeit stehen geblieben in jenem April 1975.

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Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass mit dem Ende des Krieges nicht auch der Palast mitsamt der Einrichtung dem Untergang geweiht war. Doch hatten die neuen Machthaber damals wohl ein Auge für die Schönheit der Architektur und erhoben den Wiedervereinigungspalast bereits 1976 zum nationalen Kulturdenkmal. Ein Glück.

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Von den repräsentativen Räumen des ersten Stocks geht es hinaus in einen kleinen Innenhof, dem sich auf zwei Halbgeschossen die privaten Gemächer des Präsidenten und seiner Gäste anschließen.

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Spätestens hier zwingen die immer drückender werdende Hitze und die enorme Luftfeuchtigkeit einige Besucher zum Abbruch der Tour. Kurz überlege auch ich, ob ich es ihnen gleichtue und mir nicht vielleicht ebenfalls lieber ein schattiges Plätzchen suche.

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Doch nein. Das werde ich ganz sicher nicht. Warum? Jetzt folgt der zweite Teil der Besichtigungstour und der führt unter die Erde. In den Keller. Oder sollte ich lieber sagen, in den Bunker?

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Hier befinden sich die strategischen Büros, die War Rooms. Von hier aus befehligte der Präsident damals seine Truppen. Karten der vietnamesischen Gebiete zeugen auch heute noch eindrucksvoll davon, was hier in den acht Jahren zwischen 1967 und 1975 alles entschieden und geplant wurde.

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Für das keine Nickerchen zwischendurch hatte der Präsident hier übrigens auch noch ein eigenes Schlafzimmer.

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Die ganze Szenerie wirkt wie eine riesige Filmkulisse. Ein einsamer alter Ventilator versucht verzweifelt, das bisschen Frischluft, welches sich hier in die Katakomben verirrt, zu verteilen. Vergeblich. Die Luft steht. In den Räumen mit den glänzend grauen Schreibtischen und Bürostühlen, in den langen, engen Gängen mit fahlem Neonlicht.

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Die Luft, die Enge, die fehlenden Fenster, irgendwann denke ich mir, du möchtest jetzt langsam dann doch mal hier raus. Auf der anderen Seite – die vielen Gerätschaften, die ganzen Karten, das alles mag man sich eigentlich noch viel genauer anschauen.

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Ein wenig Zeit bleibt noch, ehe es die Treppen wieder hinaufgeht.

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Es folgen die Räumlichkeiten der früheren Küche. Große Wok-Kochstationen stehen hier herum, ganz so, als seien sie gestern noch benutzt worden. In der Küchenmitte: eine reichlich überdimensionierten Kitchen Aid. Gleichermaßen skurril wie faszinierend.

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Nach der Küche endet der Rundgang. Natürlich nicht, ohne einen obligatorischen Stopp an einem Souvenirshop. Ich nutze die verbleibende Zeit, um mich noch ein wenig im Garten des Palasts umzuschauen, ehe es im feinst klimatisierten Bus weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit Saigons geht. Aber dazu dann ein anderes Mal….

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Mein Fazit: ok, ein Besuch des Reunification Palace gehört wohl sowieso zu jeder Saigon Tour dazu. Das muss ich also nicht extra empfehlen. Mein Tipp aber: früh hinfahren und viel Zeit einplanen, um sich hier wirklich ganz genau umschauen zu können. Es lohnt sich. Der Palast ist wirklich ein beeindruckendes, geschichtsträchtiges Bauwerk. Innen, wie außen. Eine große Überraschung.

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Fotos & Text: © Percy Christian Schoeler (PCS) 2016

 

 

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