„I hol‘ die Polizei!!“  Der Tonfall des stämmigen Landwirts lässt keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit unserer Lage. Es ist 17:45 und irgendwie habe ich mir meinen Tag anders vorgestellt. Ich liebe Österreich. Die Aussicht jedoch, die nächsten Stunden auf einer Polizeiwache irgendwo in den Tiroler Bergen verbringen zu dürfen, nein, ganz soweit geht meine Liebe dann doch nicht.

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Dabei beginnt der Tag zunächst äußerst vielversprechend. Bei meiner Ankunft am Flughafen Salzburg wartet eine Mercedes S-Klasse in Magnetitschwarz Metallic auf mich. Es ist das neue Spitzenmodell der Stuttgarter, aus dem in Affalterbach der S 63 AMG wird.

Die S-Klasse. Allein der Name steht seit Jahrzehnten für die Spitze des Automobilbaus, der Innovation. Hier feiern Systeme Premiere, die, anfangs vielleicht noch belächelt, Jahre später zum Standard werden. Was steckt wohl alles im neuen Modell? Schnell den Koffer verstauen und es herausfinden.

Ich öffne die Heckklappe und bin ein erstes Mal überrascht. In der Mitte des Kofferraums nimmt die Rückwand der Minibar gehörig Stauraum weg. Nicht, dass man platzmäßig dadurch komplett in die Bredouille kommen würde, mit mehreren großen Reisekoffern könnte es hier aber ein wenig eng werden. Gut, dass ich nur meinen kleinen Rimowa dabei habe.

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Eine Minibar, das verspricht auch allerhand weitere Annehmlichkeiten für die mitreisenden Fondpassagiere. Doch will man bei einem Auto mit 585 PS unbedingt hinten sitzen? Wer eine der Türen zum Fond öffnet, wird diese Frage plötzlich nicht mehr ganz so einfach mit einem kategorischen Nein beantworten können. Man findet sich in einem Ambiente von feinsten Materialien wieder. Eine wirklich unglaublich perfekte Verarbeitung, jede Menge Platz und eine bemerkenswerte Ambientebeleuchtung erheben die neue S-Klasse in noch höhere Sphären, als sie es ohnehin schon ist. Hier wird der Umstieg selbst vormaligen Maybach Kunden äußerst schmackhaft gemacht.

Minibar, Flatscreens, Fernbedienungen, Kopfhörer, Panoramaglasdach, lederbezogene Klapptische und ein auf bis zu 43,5° verstellbarer Liegesitz mit Beinauflage und Fußstütze, im Fond dieses S 63 AMG 4matic mit langem Radstand lässt es sich wahrlich äußerst komfortabel reisen.

Das ließe es sich aber ebenso gut in einem S 350 BlueTEC mit langem Radstand. Noch dazu fast 70.000 Euro günstiger. Um den Wert dieser Preisdifferenz zu ‚erfahren‘ muss man daher dann doch auch einmal vorne links Platz nehmen.

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Dabei ist es natürlich vollkommen unnötig zu erwähnen, dass die S-Klasse vorne mindestens genau so schön, so hochwertig, so perfekt verarbeitet ist, wie das im Fond der Fall ist. Das Leder Exklusiv Nappa AMG „meines“ S 63 ist in seidenbeige und espressobraun gehalten, dazu gibt es Applikationen in einer Kombination von schwarzem Klavierlack und AMG Carbon. Speziell für AMG gibt es eine eigenständige Interieurlinie mit AMG Sportsitzen und geprägtem ‚Apfelbaum und Nockenwelle‘ Logo auf der Mittelarmlehne. In der Mitte der Carbon-Zierleiste prangt ein weiterer feiner Unterschied zur Serien-S-Klasse: eine Analog-Uhr von IWC. Das Zifferblatt erinnert an das der Ingenieur AMG und ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Im Gegensatz zum Original funktioniert die IWC in der S-Klasse allerdings mit Strom.

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Nicht ganz so auffällig wie die IWC Uhr ist der Startknopf des S63 AMG. Startknopf? Gibt es überhaupt einen? Nach zwei Minuten intensiven Suchens gebe zumindest ich mich geschlagen und drehe ganz herkömmlich den Zündschlüssel. Der Motor startet mit der AMG-typischen kurzzeitigen Drehzahlerhöhung und einem darauffolgenden Lächeln meinerseits. Der Gurt presst sich an den Oberkörper, er tut dies meines Empfindens eine Spur zu heftig, dann kann es los gehen.

Nicht nur die Straffung des Gurtes ist extrem eingestellt, auch die sich in den Kurven stark aufblasenden Seitenwangen irritieren zunächst. Beides lässt sich sicher im äußerst umfassenden Fahrzeugmenü einstellen, doch wir wollen ja fahren und nicht Computerspielen.

Standardmäßig ist das Getriebe auf C gestellt. C steht nicht etwa für Comfort sondern für Controlled Efficiency. Hier bleiben die Klappen der AMG Sport-Abgasanlage weitestgehend geschlossen, der Sound ist entsprechend zurückhaltend und die Start-Stopp Automatik sorgt für niedrigere Verbrauchswerte.

Bis zu 0,4 Liter auf 100 Kilometer verbraucht der Neue weniger als sein Vorgänger – bei immerhin 41 zusätzlichen PS.  10,3 Liter sind für den NEFZ angegeben. Ein fairer Wert für einen 2-Tonner mit dieser Leistung.

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Mehr Spaß indes macht der 5,5 Liter V8-Biturbo aber in den Fahrprogrammen M (Manuell) oder S (Sport). Leider verzichtet man auf das beim SLS so herrliche Sport Plus Programm. Aber ok, der S63 ist eben eine Limousine und will die Ohren der Fondpassagiere nicht über Gebühr mit Motorsportsound belästigen.

Doch schon im S Programm sorgen die früh öffnenden Klappen, speziell mit einem ‚dynamischen Fahrstil‘, wie AMG das nennt, für einen Sound, der zumindest ansatzweise für Gänsehaut sorgt, ohne dabei im Innenraum zu aufdringlich zu sein. Außen mag dies wohl anders wirken, zumindest das Kopfschütteln und andere unschöne Gesten der lokalen Bevölkerung könnten hierfür ein Indiz sein.

Der Komfort der S-Klasse, der Sound, sie lassen schnell das Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit schwinden. Da heißt es aufpassen. Erfreulicherweise helfen einem dabei die eingebauten Assistenzsysteme. Perfekt arbeitet die Verkehrsschildererkennung. Innerhalb einer Sekunde ist die momentan erlaubte Geschwindigkeit auch im Display eingeblendet, was speziell auf der durch Baustellen extrem gebeutelten A8 zwischen Salzburg und dem Chiemgau mit ihren permanent wechselnden Beschränkungen sehr hilfreich ist. Abstandsradar und Spurassistent arbeiten ebenfalls zuverlässig und bei Dunkelheit erkennt der Nachtsichtassistent etwaige Personen und Tiere frühzeitig.

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Das Navigationssystem ist äußerst intuitiv zu bedienen, der Splitscreen zeigt die Kurskorrekturen zuverlässig an, bisher habe ich noch kein besseres Navi kennen lernen dürfen.

Leider spricht es englisch mit mir, was jetzt per se nicht das Problem ist. Es auf Deutsch umzuschalten gestaltet sich aber schwieriger als gedacht, da hört es mit der Intuition schnell auf. Auch mein Beifahrer versucht sich am Comand System, ebenfalls ohne Erfolg. Dafür findet er in einem Untermenü die Massagefunktion. Ich wähle Stufe 5 des Energizing Programms, genieße das unverhoffte Wellness Programm und lasse mir dann eben weiter den Weg auf Englisch ansagen.

Nach einem kurzen Mittagessen am Aschauer Kirchplatz steht der Fahrerwechsel an. Von nun an bin ich der Beifahrer und natürlich lasse ich mich wieder ausgiebig massieren. Neben der Sitzklimatisierung entdecke ich nun auch ein Untermenü für die Ambientebeleuchtung. Diese lässt sich vom coolen Blau in spaciges Lila, erotisierendes Rot oder vier weitere Farbprogramme umstellen. Ein Gimmick, aber hey, das sind die Kleinigkeiten, auf die ich stehe, ebenso wie die wechselbare Beduftung des Air-Balance Systems im Handschuhfach oder die Burmester High-End 3D Surroundsoundanlage.

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Noch aus einem weiteren Grund ist der Fahrerwechsel eine gute Idee. Mein Kollege ist ein ‚alter Hase‘, was Autotests angeht und verlangt dem S63 AMG auf den kurvigen Bergstraßen weit mehr ab, als ich mir das ehrlicherweise selbst jemals zugetraut hätte.

„Du gibst bescheid, wenn Dir das hier zuviel wird“ sagt er mir und ich muss nur grinsen. Unsicher fühle ich mich in einer S-Klasse sowieso selten und dank des 4matic Antriebs gleitet der S63 selbst durch die eigentlich viel zu schnell angefahrenen Kehren wie auf den sprichwörtlichen Schienen.

AMG bringt den S63 in drei Versionen heraus. Unser 4matic in der knapp 5,29 Meter messenden Langversion ist das Spitzenmodell, daneben gesellt sich der 13 Zentimeter kürzere S63, den es ausschließlich mit Heckantrieb, dafür aber mit Magic Body Control gibt. Dieses System erkennt Bodenwellen mithilfe einer Stereokamera im Voraus und passt das Fahrwerk schon im Vorfeld an.

Version Nummer 3, den Hecktriebler mit langem Radstand, gibt es ausschließlich als Rechtslenker für einige wichtige Exportmärkte.

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Verblüffend ist, dass zwischen zweiradgetriebener Kurz- und allradgetriebener Langversion nur eine Gewichtsdifferenz von 25 Kilogramm liegt. Gegenüber dem Vorgänger wurden rund 100 Kilogramm eingespart. Möglich macht das die AMG Lightweight Performance. Eine leichte Lithium-Ionen Batterie, Schmiederäder und eine Ersatzradmulde aus Carbon verhelfen dem S63 zusammen mit einer Hochleistungs-Verbundbremsanlage und der Außenhaut aus Aluminium zu einem Gewicht von knapp unter 2 Tonnen.

Diese werden in 4,0 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigt. Schade nur, dass dies die österreichischen Landstraßen schon rein rechtlich nur äußerst selten zulassen, von der elektronisch auf 250 km/h begrenzten Höchstgeschwindigkeit (mit Aufpreis werden es gar 300 km/h) ganz zu schweigen.

Die Ausblicke von den Tiroler Bergstraßen entschädigen dafür allerdings. Wir verlassen die vorgeschlagene Route auf der Suche nach einem geeigneten Fotopunkt.

„Make a U-turn if possible“ vermeldet die angenehme Stimme unseres immer noch englischen Navigationssystems. Wir halten uns lieber an die Empfehlung der Einheimischen. „Da müssen’s hinter der Tankstelle rechts und dann immer links“. Klingt nach ’nem Plan. „Make a U-turn if possible“ – langsam wird Madame hektisch.

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Von der kleinen Ortschaft Noppenberg aus ergibt sich dann tatsächlich ein gar traumhafter Blick über die Region Kufstein, der die mittlerweile im Sekundentakt aufkommenden freundlich-bestimmten Ansagen der Navidame einen Moment vergessen lässt.

„Lass uns da auf die Wiese fahren. Da haben wir den perfekten Blick.“ Irgendwie dünkt es mir, dass es keine gute Idee ist, mit einem in dieser Ausstattung weit über 200.000 Euro teuren Testwagen einfach so auf eine unebene Bergwiese zu fahren doch andererseits, wer fährt, bestimmt und hey, – er weiß sicher, was er tut.

Rückwärtsgang einlegen und ich bin – schon wieder – komplett verblüfft. Auf dem Command Screen ist unser Auto zu sehen. Von oben, inmitten seiner momentanen Umgebung. Ich brauche einen Moment um zu realisieren, dass es sich hierbei nicht um ein nett zusammengefügtes Stück google Earth handelt sondern um unsere tatsächliche Umgebung. Bordstein, Bitumenfugen, Dreck der auf der Straße liegt, dieses Bild ist tatsächlich live!!!

Einen eigenen Satelliten abzustellen für jeden S-Klasse Fahrer, der gerade den Rückwärtsgang einlegt, das erscheint mir doch etwas dekadent und so ist die Lösung dann auch weit weniger komplex, wenn gleich nicht minder faszinierend. Ausgestattet mit vier Kameras, am Kühlergrill, am Kofferraum und an den beiden Außenspiegeln, überblickt die S-Klasse ihr gesamtes Umfeld. Der Rechner setzt diese vier Kamerabilder dann zu einer 360 Grad Rundumsicht zusammen und stellt sie in Form des Birdseye Views zur Verfügung.

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Was die Kameras nicht aufzeichnen, das ist der zornige Bauer, der, nebst seiner nicht minder verärgerten Bäuerin, ob der Nutzung seiner Wiese wutentbrannt in seinen orangefarbenen VW Käfer steigt und nun mit der geballten Kraft aller 45 Pferdestärken den Berg erklimmt.

„Wos mocht’s Ihr auf mei’m Grundstück? Des is a Flurschaden!“ hört man ihn rufen, noch lange bevor er auch nur in unserer Nähe ist. Was tun? Flüchten? 45 gegen 585 PS? Da hat er keine Chance, der Bauer mit Frau. Aber wäre das die feine Art? Wir sind hier Gäste. In Österreich. Und Österreicher sind ja generell recht locker. Also entscheidet sich mein Kollege statt spontaner Flucht für das Programm Völkerverständigung und steigt aus.

Nicht die beste Idee, wie sich zeigt. Denn jeder Beschwichtigungsversuch scheint den jungen Landwirt nur noch mehr zu erzürnen und für schöne Autos hat er wohl ebenfalls nichts übrig.

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„I hol‘ die Polizei!!“ Na super. Das war’s jetzt also. Österreich. So ein schönes Land und der sicherlich einzige sture Bauer weit und breit, der steht hier mit uns auf seiner Wiese.

Die Situation droht zu eskalieren, doch dann steigt dem schlauen Landwirt die Gier in den Kopf. Zwei gutangezogene Typen in ’nem großen schwarzen Mercedes – da muss doch was zu holen sein. Und so überdenkt er kurzerhand seine Strategie.

„I hol‘ die Polizei, oder Ihr gebt’s ma 50 Euro“ heißt es nun. 50 Euro für ein paar plattgedrückte Grashalme??? Die Alternative wären mehrere Stunden in Obhut der Tiroler Polizei. Nur Sekunden später ist der gute Mann somit um 50 Euro reicher und wir zurück auf der vorgeschlagenen Route in Richtung Kitzbühel, wo der Tag bei einem BBQ dann doch noch den erhofften perfekten Ausklang findet.

Am nächsten Morgen fahre ich Retour nach Salzburg, diesmal mit einem S 63 AMG 4matic in diamantsilber metallic, mit kristall- und muschelgrauem AMG Nappa Leder und Zierleisten in designo Holz Esche metallisiert. Die Farbgebung bei einem Auto ist ja wie so oft Geschmacksache, meinen trifft die Kombination vom Vortag eindeutig mehr und auch was Ausstattung angeht, kommt der heutige Testkandidat nicht an den Wagen von gestern heran. Er orientiert sich eher an der Serienausstattung, die natürlich ebenfalls bereits über alle Zweifel erhaben ist. Gleiches gilt für die Fahrleistungen, die genauso beeindruckenden sind wie tags zuvor.

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Der S 63 AMG hängt herrlich am Gas, der Allradantrieb beißt sich geradezu in den Asphalt, Überholvorgänge werden zur willkommenen Abwechslung, auch wenn die Landstraßen dabei zum Teil auch mal äußerst eng werden können.

Viel zu schnell vergeht die Zeit an diesem Vormittag und schon stehe ich wieder, gegenüber des Hangar 7, am Wolfgang Amadeus Mozart Airport in Salzburg.

Mein Fazit? Sportwagenartige Fahrleistungen, gepaart mit dem Komfort einer Limousine, diese Kombination ist AMG mit dem S 63 definitiv gelungen. Einzig beim Sound des Klappenauspuffs, da hätte man noch ein bisschen experimentierfreudiger sein können.

Bleibt noch eine Frage: Vorne links oder doch lieber hinten rechts einsteigen? Selbst fahren oder chauffiert werden? Beim S 63 ist die Antwort ziemlich eindeutig: am besten beides.

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Fotos & Text: © Percy Christian Schoeler (PCS) 2013

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