William „Billy“ Lyons war ein geschäftiger Mann. Bereits mit 21 Jahren gründete er die Swallow Sidecar Company, die sportliche Beiwagen für Motorräder herstellte. Bald folgten elegante Sonderkarosserien für kleine englische Wagen, die sich mit einer besonders flachen Linie und ihren liebevollen Details großer Beliebtheit erfreuten. 1935 präsentierte man im Londoner Mayfair Hotel dann den ersten eigenständigen Wagen, der den Namen Jaguar trug. Der Ruf, den die Autos aus Coventry heute genießen, begründete sich aber vor allem in den 50er Jahren – mit den Motorsporterfolgen des D-Type. Die Geburt des legendären Rennsportwagens jährt sich heuer zum 60. Mal. Doch gehen wir noch etwas weiter zurück in der Geschichte.

Der XK120 Roadster feierte 1948 in London Premiere

Der XK120 Roadster wie er 1948 in London Premiere feierte 

Die erste große Sensation bahnte sich bereits im Jahre 1948 an als Jaguar auf der London Motor Show den XK120 vorstellte. Hier stand ein atemberaubender Sportwagen, der in den tristen Nachkriegsjahren wie aus einer anderen Welt gewirkt haben muss und mit den im Namen proklamierten 120 Meilen in der Stunde zum schnellsten Sportwagen seiner Zeit avancierte. Die von William Lyons persönlich gezeichnete Form mag vom BMW 328 Mille Miglia Roadster der italienischen Carrozzeria Touring inspiriert gewesen sein, machte aber mit ihrer geduckten, wie zum Sprung bereiten Figur dem Firmennamen alle Ehre. Ein weiteres Schmankerl befand sich unter der Haube. Die neue XK-Maschine (X stand für experimental und K gab die finale Evolutionsstufe des Motors an) war ein Juwel und mit ihren zwei obenliegenden Nockenwellen zu dieser Zeit ein absoluter Exot. Diese aufwendige Form der Ventilsteuerung hatte man bis dato fast ausschließlich bei den Grand-Prix-Boliden von Alfa, Bugatti und Mercedes gesehen und war bestens geeignet, um den motorsportlichen Ambitionen von Lyons weiteren Schwung zu verleihen.

Der C-Type siegte in Le Mans 1951 und 1953

Der C-Type siegte in Le Mans 1951 und 1953

1951 entwickelte der gerade zu Jaguar gestoßene Malcolm Sayer das Derivat XK120 C (für Competition) – bald C-Type getauft – der mit einer leichteren und aerodynamischeren Karosserie sowie den revolutionären Scheibenbremsen von Dunlop die Rennstrecken der Welt eroberte. Wenige Wochen nach der Fertigstellung des Autos errang man sogleich den hoch begehrten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Für die recht junge Firma kam dieser Erfolg einem Husarenstück gleich, welches man zwei Jahre später mit einem Doppelsieg krönte. Doch für die Saison 1954 arbeitete man bereits fieberhaft an einem neuen Wettbewerbsgefährt, um der Konkurrenz aus Deutschland, Frankreich und Italien weiter Paroli bieten zu können. Der D-Type war geboren. Seine Nomenklatur folgte nun zwar einer profanen alphabetischen Logik, doch das Auto war alles andere als profan.

D-Type Proto1_800

D-Type Proto2_800

Der Prototyp in blankem Aluminium bei Testfahrten im April 1954

Das Zauberwort hieß: Monocoque. Die selbstragende Karosserie aus genieteten Aluminium/Magnesium-Häuten war nicht nur leichter, sondern auch verwindungssteifer als die zu dieser Zeit meist übliche Rahmenbauweise. So ermöglichte sie Designer und Konstrukteur Malcolm Sayer sein ganzes Talent auszuspielen. Sayer hatte sich seine Meriten in den Kriegsjahren bei der Bristol Aeroplane Company erworben und war zeitlebens von zwei Dingen besessen: Leichtbau und Aerodynamik. Die Strömungslehre hatte zwar schon im Automobilbau der 30er Jahren ihre ersten Erfolge gefeiert, war aber noch lange nicht im Selbstverständnis der meisten Konstrukteure angekommen – beispiellos illustriert in Enzo Ferraris Aussage: „Aerodynamics are for people who can’t build engines.“

d-type1_800

d-type2_800

D-Type 4

D-Type 3

Der D-Type in seiner frühsten Inkarnation – 3.91 Meter lang und 79 Zentimeter hoch

Aber da täuschte er sich. Auf der langen Mulsanne-Geraden in Le Mans konnten die D-Types aufgrund ihrer Windschlüpfrigkeit bis auf 280km/h beschleunigen und übertrafen die stärkeren Ferraris mit Leichtigkeit. Die eigens für Hochgeschwindigkeitsstrecken entwickelte Heckfinne verlieh dem Wagen dazu eine ungekannte Stabilität. Die Fahrer sollten nach dem Rennen berichten, sie hätten sich auf den Geraden bei Vollgas richtig entspannen können, das Auto führe wie von selbst. Dennoch musste man sich beim ersten Outing an der Sarthe 1954 noch knapp den Italienern geschlagen geben. Aber die Revanche sollte folgen.

d-type10_800

Titel

So wurde er 1955 zur Legende: mit „long nose“ und Heckfinne

Der Motor war jener 3.4 Liter Reihensechszylinder wie er im XK120 Premiere gefeiert hatte. Allerdings von Jaguars Cheftechniker Bill Heynes und dem ehemaligen Bentley-Ingenieur Walter Hassan gekonnt auf 250 PS getunt und mit einer Trockensumpfschmierung versehen. Diese versprach nicht nur eine gleichmäßige Schmierung in allen Lebenslagen, sondern erlaubte aufgrund der fehlenden Ölwanne auch einen tieferen Einbau, der in einem niedrigeren Schwerpunkt des gesamten Autos resultierte. Für die Saison 1955 spendierte man elf D-Types dann einen um 19cm verlängerten Vorderwagen, welcher den Luftstrom noch geschickter austrickste und dieser Variante den Spitznamen „long nose“ einbrachte.

d-type7_800

d-type6_800

Der Reihensechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen und…

Mit genau so einer „Langnase“ trat man auch gleich wieder bei dem französischen Langstreckenklassiker an – und gewann. Mike Hawthorn überquerte die Ziellinie mit fünf Runden Vorsprung vor Peter Collins‚ Aston Martin. Aber es war ein freudloser Sieg, der von einem der fatalsten Unfälle der Motorsportgeschichte überschattet wurde. Pierre Leveghs Mercedes 300SLR raste nach einem Ausweichmanöver in die Zuschauertribüne, 83 Menschen mussten ihr Leben lassen. Teamchef Alfred Neubauer nahm daraufhin die zwei verbliebenen Autos aus dem Rennen und Mercedes zog sich für 33 Jahre aus dem Motorsport zurück.

d-type9_800

d-type5_800

…das Cockpit mit der Funktionalität eines Kampfjets 

Die Siegesserie des D-Type hielt jedoch weiter an. Nachdem der Gewinner des Vorjahres aufgrund eines außerplanmäßigen Boxenstopp auf dem sechsten Platz landete, hielt der schottische Rennstall Ecurie Ecosse die Fahne der Briten hoch und siegte 1956 in Le Mans mit ihrem eigens präparierten D-Type. Begeistert von den Fähigkeiten der Edinburgher und dem Wissen um den Ruhm, der ihren Autos zukam, überließ Jaguar den Schotten das Feld – mit voller Unterstützung des Werksteams aus Coventry. Diese beinhaltete eine Vergrößerung des Hubraums auf 3.8 Liter, mit der man es nun auf knapp 300 PS brachte sowie eine Benzineinspritzung anstelle der Weber-Vergaser. Moment, Benzineinspritzung? Ja, Benzineinspritzung! Jaguar hatte damit schon seit einiger Zeit experimentiert und war nach Gutbrod, Goliath und Mercedes eine der ersten Autofirmen, die diese Technik erfolgreich auf die Straße brachten (wenn auch vorerst nur im Rennprogramm).

D-Type LM2_800

D-Type LM1_800

Die Sieger von 1956 und 1957 bei den 24 Stunden von Le Mans – dem prestigeträchtigste Langstreckenrennen der Welt 

Die englisch-schottische Kooperation sollte Wirkung zeigen. Nicht nur dass Ron Flockhart 1957 die Ziellinie in Le Mans mit acht Runden Vorsprung vor dem zweiten D-Type von Ninian Sanderson überquerte, sondern die Plätze drei und vier wurden ebenfalls von Jaguars Rennsportwagen eingefahren. Erst dann folgte ein Ferrari. Die Revanche war geglückt. Mehr noch, dieses Ergebnis kam einer Deklassierung gleich. Man war auf dem Gipfel des Triumphs angelangt.

Zwei Schwächen hatte der D-Type allerdings: Seine dem Leichtbau geschuldete Fragilität sowie die vom C-Type übernommene hintere Starrachse. Damit blieben ihm maßgebliche Erfolge auf den rauen Landstraßen der Mille Miglia verwehrt. Aber drei Siege in Folge bei den 24 Stunden von Le Mans reichten für die Unsterblichkeit. Doch nun war seine Zeit abgelaufen. Änderungen des Reglements und das aufkommende Konzept „Mittelmotor“ machten Jaguars erfolgreichsten Renner für die nahenden 60er Jahre obsolet.

Der XK-Motor sollte noch bis 1992 weiterleben und beherrschte in über 40 Jahren nicht nur fast eine ganze Dekade der Le-Mans-Geschichte und befeuerte Generationen von Jaguars, sondern ließ auch die große Daimler Limousine so sanftmütig von dannen schweben, dass Queen Mum darin nicht einen Tropfen Gin Tonic vergoss. Eine Variabilität, die ihres gleichen sucht.

xkss1_800

Der XKSS eroberte die Straßen von Amerika und das Herz von Steve McQueen

Der XKSS eroberte die Straßen von Amerika und das Herz von Steve McQueen

Doch auch die Geschichte des D-Type ist noch nicht ganz beendet. Von den insgesamt 96 Exemplaren kamen 18 als Werksrennwagen zum Einsatz, 53 wurden in private Hände verkauft und es bedarf keines Mathegenies um festzustellen, dass 25 übrig bleiben. Ein Feuer am Abend des 12. Februar 1957 in den Werkshallen dezimierte diese Zahl um neun. Aber die verbliebenen 16 Stück wurden kurzerhand mit Stoßstangen, Verdeck und Gepäckträger versehen, XKSS getauft und als ultimative Roadracer in die USA verkauft – einer davon heiß und innig geliebt von Schauspieler Steve McQueen.

Der Erbe des D-Type lebte ab 1961 im E-Type weiter

Der Erbe des D-Type lebte ab 1961 im E-Type weiter

In dieser Form legte der D-Type dann sowohl stilistisch als auch konstruktionell den Grundstein für Jaguars Sportwagen-Ikone schlechthin, den E-Type, der erst kürzlich seine Auferstehung im F-Type feierte. William Lyons hätte es sich vor 60 Jahren wohl nicht erträumen lassen, dass dieser kleine Rennwagen über viele Jahrzehnte hinweg immer wieder das Gesicht seiner Sportwagen prägen sollte.

 

Fotos: © Jaguar

Text: © Carl C. Bauer  (CarloBianco) 2014

Kommentare