Die französische Region Champagne-Ardenne im Nordosten des Landes lässt einen wohl eher an Wein, Sekt oder landwirtschaftliche Flächen denken. Doch dann liest man über Thierry Henriot aus Troyes im Departement Aube und dass man in den 1970er Jahren zahlreiche künstliche Seen in Frankreich und eben auch in der Gegend dort entlang der Seine, die durch Troyes fließt, als Wasserreservoire angelegt habe.
Die Geschichte des vierfachen Familienvaters und der Messer fängt genau hier an, denn er begann mit dem Segeln auf einem dieser Seen – und gründete kurz darauf innerhalb der französischen Jugendorganisation MJC (‚Maison de Jeunes et de la Culture‘) eine Segelabteilung – fernab von jeder Küste! Mit den Jugendlichen schuf er das Projekt ‚Yole de Bantry‘, ein Bootsbauprogramm, das die Kunst des Baus von kleinen und flachen Holzbooten pflegte. Erstmals gab es sie im 18. Jh. als Barkassen und Hilfsboote während der napoleonischen Kriege, und sie wurden gerudert oder gesegelt. Inzwischen hat sich mit diesen Nachbauten ein recht reges Regattaleben in Frankreich etabliert. Und Thierry Henriot hatte mit seinem Sozialprojekt großen Erfolg.
Das bestärkte ihn, der schon in früher Jugend seinem Großvater bei der Arbeit als Schmied fasziniert zugeschaut hatte, sich dem Bau von Messern zuzuwenden, nicht irgendwelchen, sondern solchen mit lokalem Knowhow und maritimem Bezug! Seinen ersten Entwurf nannte er Patrim’eau, die Klinge ließ er aus dem nahen Nogent, das eine lange Tradition im Messerbau hat, zuliefern, das Griffstück stellte er in der Schreinerei des MJC her. Ein befreundeter Maler und Bildhauer, Thierry Kayo, geboren in Marocco, der sein Atelier im gleichen Departement hat, besorgte das Design. Hergestellt wurde das Messer unter Federführung der traditionsreichen Messerschmiede Coutellerie d’Art J. Mongin in Nogent. Das Patrim’eau gibt’s noch heute zu kaufen, in limitierten Serien, nicht ganz billig, das günstigste beginnt bei gut 800 Euro. Aber es ist vom Design her, wie alle Neptunia-Messer, absolut einzigartig!
Doch schon 2005 wollte Thierry Henriot nicht mehr nur für andere arbeiten, sondern selbst der Kapitän sein, nicht nur auf seinem Segelboot, sondern in (s)einem eigenen Unternehmen. So gründete er in seinem Heimatort Troyes die Marke Neptunia (www.neptunia.fr), anfangs neben der Beschäftigung mit den Messern auch eine Agentur für Kommunikation, aber seit 2008 eine reine Messer-Manufaktur. Seither entwirft er Schneidwerkzeug in besonders hoher Qualität und in exquisitem Design – und alle mit Bezug auf das Maritime – eben eine ‚Coutellerie de Marine‘. Alle Messer werden von den führenden Messerschmieden und etlichen qualitativ hochwertigen Zulieferern weitgehend in Handarbeit hergestellt.
Inwischen gibt es natürlich auch das nach seinem ersten Bootsbauprojekt benannte ‚Bantry‘, ein Tafelmesser nach einem Entwurf von Thierry Kayo, wie alle Messer aus dem Hause Neptunia in verschiedenen Ausführungen, das Bantry beginnend bei etwa 600 Euro. Es vereint, wie in der originalen Beschreibung zu lesen ist, die ‚Macht eines Dolches mit der Eleganz einer Schaluppe [das größte Beiboot eines Schiffes]‘.
So wundert es nicht, dass Neptunia sich zusehens auch an die mediterrane Küste begibt und dort inzwischen bei allen großen Segelevents vertreten ist, wie zum Beispiel bei den Voiles de Saint-Tropez im vergangenen Jahr. Mehr dazu lesen Sie hier.
Das erste Messer, das Henriot nach der Firmengründung baute, nannte er „Dorry“, entworfen hat es wiederum Thierry Kayo. Jedes Messer ist, wie die übrigen Neptunias auch, einzeln nummeriert. Es ist eine Hommage an kleine hölzerne Hilfsboote, mit denen die Fischer auf den Grand Banks von Neufundland auf Fang gingen. Die Boote hatten einen flachen und sehr breiten Boden, vorne und achtern etwas ansteigende Linien, und in der Mitte waren sie ein wenig bauchig. Der Achtersteven war breit gestaltet, und insgesamt waren die kleinen Boote leicht und schnell zu bauen, gut stapelbar und preiswert. Man konnte sie rudern oder segeln. Hier ein Bild eines Dories, wie es auch genannt wurde (GNU Free Documentation License):
Es handelt sich um ein Taschenmesser und hat eine sehr ausgefallene und gleichermaßen gefällige Form! Es ist das meistverkaufte Neptunia-Messer und dasjenige, dass den maritimen Bezug von Neptunia am besten herüberbringt, so wird jedenfalls gesagt. Die Klinge ist vorne ganz bewusst nicht spitz, sodass die Verletzungsgefahr beim Hantieren auf wackeligen Booten oder in der Hektik von Notfällen nicht ganz so groß ist. Es ist ohnehin eher ein Arbeitsmesser und weniger für den Notfall geeignet, weil es nicht ganz so schnell einsatzfähig ist wie ein Messer mit feststehender Klinge, wie zum Beispiel das Pen Skoulm oder eben das Bantry.
Die günstigste Version kostet mit Olivenholzgriff 120 Euro, die teuerste Version geht in den vierstelligen Eurobereich. Das Klappmesser ist in verschiedenen Ausführungen und zwei Größen erhältlich, 100 oder 120 mm lang. Die Klinge ist „freischwebend“ gebaut, das heißt, sie schlägt in zusammengeklapptem Zustand nirgends an. Sie steht ein bisschen nach unten aus dem Heft heraus, was an ein Schwert oder Kiel einer Segeljacht erinnert. Das hintere Ende ist wie der Spiegel eines Bootes gestaltet. Und in der Draufsicht erkennt man die Bauchigkeit des Heftes, das so nicht nur gut in der Hand liegt, sondern die Rumpf-Linien der Dory-Boote nachempfindet. Ich habe die 12cm-Version, die gut umgriffen werden kann. Die 10cm-Variante ist vielleicht fürs Umgreifen ein wenig kurz, steht aber ansonsten dem Großen in der Benutzbarkeit kaum nach.
Dort, wo die Klinge in das Heft mündet, gibt es eine Metallhalterung, die aus zwei recht dünnen Blechen besteht, in denen ein Stift als Drehpunkt befestigt ist. Diese dünnen Bleche sind, so finde ich, ein kleiner Schwachpunkt des ansonsten tadellos verarbeiteten Messers, denn sie scheinen nicht ganz sauber entgratet zu sein, und wenn man das Messer längere Zeit benutzt, drücken sich die schmalen Metallkanten doch ganz gut in die Hand ein. Hier wäre vielleicht ein etwas dickeres und gut abgerundetes Metall besser gewesen, auf das man vielleicht im Hinblick auf ein klares, ‚kantiges‘ Design verzichtet hat. Das tut aber dem Gesamteindruck keinen Abbruch.
Jedes Messer ist einzeln nummeriert, und neben dem Neptunia-Zeichen des Herstellers gibt es das Zeichen des Designern Thierry Kayo sowie eine sehr kunstvolle Lasergravur auf der Klinge mit dem Messer-Namen ‚Dorry‘.
Über die Serie, die die Moonbeam-Segler tragen, die sog. ‘Couteaux tressés’, Messer mit geflochtenem Heft, hatte ich bereits in Teil 1 berichtet. Ganz neu ist aus der Serie Pen Skoulm das ‚Gréement Courant‚, etwa mit ‚laufendes Gut‘ zu übersetzen, dass sind die beweglichen Schoten und Fallen (im Gegensatz zu dem ’stehenden‘ Gut, den Stagen und Wanten, die fest montiert sind) auf einem Segelboot. Der Entwurf stammt von Alexandre Lecointre. Das Messer ist speziell für die Arbeit mit den oft etwas störrischen und nicht gerade messerfreundlichen Kunstfasern gedacht. Der Griff ist natürlich nicht aus irgendwelchen Seilen, sondern dem Einsatzort entsprechend aus der Hightech-Faser Dyneema geflochten. Die Messerscheide hat man aus laminiertem ‚Cuben Fiber‘ gemacht, das man heute für die Segelgarderobe der Rennjachten verwendet. Das Messer ist 2013 zum Preis von rund 400 Euro auf den Markt gekommen.
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