Als ich das kleine Paket öffnete war es wieder da. Ganz kurz. Das Gefühl, welches sich in den späten 90er und frühen 00er Jahren jedes Mal einstellte, wenn ich ein neues Handy kaufte. Das geschah in jenem Zeitraum gefühlt alle 4 – 6 Monate, was meine Umwelt mit ebensolcher Regelmäßigkeit irritierte. Obwohl ich zwischen den damaligen Herstellern wild wechselte, kam ich doch immer wieder zu Nokia zurück.
Sei es das legendäre 6110, dessen Nachfolger, das 6210, das 6300, der 9300 Communicator oder das E90, mein letztes Handy vor der iPhone Zeit, alle sind mir positiv im Gedächtnis geblieben. Am nachhaltigsten allerdings habe ich das 8210 in Erinnerung. Ein extrem cooles Telefon, zu dem ich wohl alle erhältlichen bunten Smartcovers besaß.
Einige Jahre oder genauer sechs iPhone Generationen sind seit meinem letzten Ausflug in die Nokia Welt vergangen. Nun also liegt wieder eines vor mir. Das Nokia Lumia 820.
Ein bodenständiger bunter Pappkarton schützt das Objekt der Neugierde, weiter kommt man durch Öffnen der integrierten „Schublade“. Drinnen liegt das Gerät auf einer schwarzen Kartonschale, darunter ein dünner Karton mit der Bedienungsanleitung, gefolgt von Netzstecker, USB Kabel und roten Ohrhörern.
Die Verpackung ist nicht unbedingt sexy, zumindest aber zweckmäßig und von daher ok. Nun kann man argumentieren, die Umverpackung sei bei einem solchen Produkt das Nebensächlichste, bei mir beginnt die Vorfreude aber bereits mit dem „Auspacken“.
Da ist es also, und es ist – rot! Und das ist nicht die einzige Überraschung. Denn nirgendwo finde ich ein Fach für eine SIM Karte. Ein Blick in die Bedienungsanleitung hilft dem dümmsten anzunehmenden User sodann gleich weiter und setzt ihn, also mich, in tiefstes Erstaunen.
Denn wie oben erwähntes 8210 aus grauer Vorzeit, verfügt auch das Lumia 820 über wechselbare Cover. Das mag man auf Grund der Verarbeitung zunächst kaum glauben. Denn das Lumia 820 wirkt wie aus einem Guss. Hochwertig, keine Frage. Dass man da irgend etwas abziehen, umwechseln kann, erwartet man nicht.
Es geht beim ersten Mal denn auch nicht wirklich leicht, zumindest wenn man so kurze Fingernägel hat wie ich. Nach etwas Mühen ist das Cover aber ab und es fällt einem der Akku entgegen. Es ist ein 1650 mAh Lithium Polymer Akku, der laut Werksangaben für 360 Stunden Standby, 8,1 Stunden Gesprächszeit oder 61 Stunden Musikwiedergabe reichen soll. Da auswechselbar, sind mittels Ersatzakku auch längere Einsätze kein Problem.
Neben dem Akku verstecken sich die Slots für Micro-SIM und Micro-SD Speicherkarte. Mit letzterer lässt sich der geräteinterne 8 GB Speicher um bis zu 64 GB erweitern. Eine Möglichkeit, von denen iPhone Besitzer seit jeher nur träumen dürfen. Zusätzlich stellt Nokia noch 7GB an Cloud-Speicher zur Verfügung.
Also Cover wieder drauf, und wenn man einmal weiß wie, geht das dann doch recht schnell. In Ermangelung einer anderen Farbe, erhältlich wären derer sieben, bleibt es beim feuerroten Spielmobil.
Dass man die Covers wechseln kann ist nicht nur ein cooler Gag, es wird sich nach gewisser Zeit auch die Notwendigkeit dafür ergeben. Am Testgerät zeigt sich nämlich jetzt schon, dass die Rückseite des 820 äußerst empfänglich für Kratzer ist. Auf Dauer dürfte das Telefon daher ziemlich unansehnlich werden.
Erhältlich sind übrigens auch Smartcovers, die ein kabelloses Laden des Lumia per Induktion nach dem Qi Standard unterstützen. Standardmäßig erfolgt die Betankung via Mini-USB Kabel. Die Schnittstelle ist unten am Gerät angebracht. Neben dem Ohrhöreranschluß an der Oberseite ist es die einzige Öffnung am Gerät, lässt man das kleine Gitter für Lautsprecher / Micro aussen vor.
Drei Tasten hat das Lumia, alle drei sind auf der rechten Geräteseite untergebracht: ein Wippschalter für die Lautstärke, der Kameraauslöser und der Standby Schalter. Letzterer ist so positioniert, dass man ihn bei Nutzung des Smartphones immer wieder unabsichtlich betätigt. Das ist nicht weiter tragisch, aber auf Dauer äußert nervend.
Die Haptik des Lumia 820 ist wirklich außerordentlich gut. Es fühlt sich sehr gut an, liegt sicher in der Hand, die Höhe entspricht mit 123,8 mm exakt der des iPhone 5, die Breite liegt bei 68,5 mm und damit exakt 10 mm über der des Mitbewerbers. Und genau die Breite ist es, die mir am meisten zu schaffen macht. Sie ist noch akzeptabel, allerdings empfinde ich das Gerät als eben genau diesen einen Zentimer zu breit.
Mit 9,9 mm ist das Lumia 2,3 mm dicker als das 5er iPhone, was allerdings nicht wirklich stört. Problematischer wird es da beim Gewicht. 160 Gramm sind schon eine Hausnummer. Sicher trägt das Gewicht zum hochwertigen Eindruck des Gerätes bei, auf Dauer aber empfindet man es einfach als zu schwer.
Das Telefon ist mit einem Snapdragon S4 Dual-Core Prozessor mit 1,5 GHz ausgestattet und verfügt über einen 1 GB großen RAM. Das Gerät ist ordentlich schnell, es scrollt sich ohne irgendwelche Verzögerungen, der Seitenaufbau beim Surfen ist fix, auch wenn die Darstellung des mobilen Internet Explorers Webseitenprogrammierern graue Haare wachsen lassen dürfte.
Das Lumia 820 ist dank LTE mit bis zu 100 MBit/s Downloadrate auch für das Surfen unterwegs gut gerüstet. Wenn man telefonieren möchte, soll ja mal vorkommen, unterstützt es die gängigen GSM Netze.
Als Display hat Nokia ein ClearBlack AMOLED im Format 15:9 und einer Diagonale von 4,3 Zoll verbaut. Dieses sorgt für brillante Farben und knackige Kontraste. Es wäre gar perfekt, wenn da nicht die Auflösung wäre. 800 x 480 Pixel (WVGA) sind für das Retina Display verwöhnte Auge dann doch eine leichte Enttäuschung. Sicher kann man gut damit leben, aber eben weil Gehäuse und Display derart überzeugend daher kommen, will die pixelige Schrift so gar nicht dazu passen.
Große Schwierigkeiten habe ich auch beim Treffen der richtigen Buchstaben auf der eingeblendeten Tastatur oder beim Wählen der korrekten Links. Noch nie lag ich was das angeht so oft daneben, teils trotz mehrfacher Versuche. Ob dies dem Gerät oder meiner mangelnden Koordination zuzuschreiben ist bleibt offen.
Etwas erfolgreicher verlaufen hingegen die Testversuche mit der eingebauten 8,7 Megapixel Kamera. Verbaut ist ein Tessar Objektiv von Carl Zeiss mit 26 mm Brennweite und Blende 2,2. Ein Dual-LED Blitz leuchtet bis zu 3 Meter weit, die Naheinstellgrenze liegt bei 10 cm.
Der Sensor bietet echtes 16:9 Format. Ob man damit zurecht kommt, muss jeder selbst wissen, beim Blättern im Fotoalbum wirken die dann nur ein Drittel des Bildschirms einnehmenden Fotos allerdings etwas verloren.
Bei Tageslicht und im Freien macht die Kamera akzeptable bis gute Aufnahmen. Drinnen ist das Ergebnis naturgemäß schlechter, sollte es aber in jedem Fall mit einer günstigen Kompaktkamera aufnehmen können. Positiv hervorzuheben ist der Dual-LED Blitz, der die Szenerie erfreulich natürlich ausleuchtet.
Neben Fotos sind selbstverständlich auch Videoaufnahmen möglich. Die Auflösung beträgt in dem Fall 1080p Full HD (1920 x 1080 Pixel).
Erwähnt sei, dass auf der Displayseite noch eine 640 x 480 Pixel Zusatzkamera verbaut ist, etwa für Videochat.
Will man die Fotos nun aber auf den Computer importieren, erlebt man – zumindest als ewig gestriger Nutzer von MacOS 10.6 sein blaues Wunder. Import per iPhoto? Fehlanzeige. Das Gerät wird zwar angezeigt, Zugriff auf Bilder erhält man aber nicht. Via Finder vielleicht? Da erscheint nicht einmal das Laufwerk.
Des Rätsels Lösung heißt Windows Phone Connector. Zumindest hieße sie so, verfüge man über einen Mac mit Lion oder Mountain Lion. Snow Leopard User jedoch müssen leider draußen bleiben und dürfen sich die Bilder via E-Mail auf das heimische Gerät senden.
Gleiches gilt übrigens für die Datensynchronisation. Ohne die (kostenlose) Software aus dem App-Store ist sie – zumindest auf einem Apple – nicht möglich.
Nun ist dies ein Windows Phone spezifisches und kein spezielles Nokia Problem. Somit sollte dies bei der Bewertung des Lumia auch außen vor bleiben wie generell das Windows Phone Betriebssystem. Als iOS-Verwöhnter hat man hier und da Schwierigkeiten bei der Umgewöhnung, manches erscheint extrem unlogisch und unausgegoren.
Das simple Dinge wie beispielsweise eine Screenshotfunktion nicht verfügbar sind, ist unverständlich, viele Bedienungshilfen wie etwa das auf einer Seite nach oben Springen durch Tippen auf die obere Leiste, vermisst man schmerzlich.
Gut gelöst ist hingegen die Kacheloptik. Hier lassen sich Apps, Fotos etc. als Kacheln unterschiedlicher Größe an den Startbildschirm andocken.
Apps allerdings, die wie beispielsweise HERE City Lens, auf einmal vom Hoch- ins Querformat und je nach Menütiefe dann wieder munter zurück wechseln oder die Kicker App, die einen mit einem „Vertippt?“ Hinweis der Telekom empfängt, lassen den Nutzer oft fragend zurück.
Positiv erwähnt hingegen sei die HERE Drive+ Beta Navigationsapp, mit der das Nokia ausgerüstet ist. Sie ist äußerst aufgeräumt und klar zu bedienen.
Da man ein Telefon und seine Software dann aber letztlich doch nicht ganz getrennt voneinander betrachten kann, bleibt beim Nokia Lumia 820 ein leicht durchwachsenes Fazit.
Es ist ein überzeugendes Gerät, welches durch sehr gute Verarbeitung und ein fantastisches Display glänzt, welchem aber eine höhere Auflösung durchaus gut zu Gesicht gestanden hätte. Das Telefon ist von seinen Proportionen her gerade noch akzeptabel, das hohe Gewicht allerdings nervt mit der Zeit. Wer mit Windows Phone 8 zurecht kommt, der wird mit dem Gerät dennoch viel Freude haben.
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Fotos: © Nokia (1), Percy Christian Schoeler (20)
Text: © Percy Christian Schoeler, 2013
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