Es ist was faul, im Staate Dänemark. Respektive in der Schweiz. Und das beunruhigt mich. Denn über Jahre gab es in der dortigen Uhrenindustrie vor allem zwei Sorten von Herstellern: traditionelle Manufakturen, innovativ, umtriebig, immer auf spannende Neuheiten bedacht, das Ohr mal mehr mal weniger am Kunden und – Rolex, die große Dame, der diese ganzen Dinge sowas von komplett egal schienen.

Rolex Daytona 116500 aus 2016 – Rückbesinnung auf die schwarze Lünette nach fast drei Jahrzehnten

Als wir 2003 unsere Community gründeten gab es ein Meme, das mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Nicht, dass ich 2003 gewusst hätte, was ein Meme ist. Hieß das damals überhaupt schon so? Wie auch immer.

Jedenfalls sieht man auf diesem Schwarz-Weiß-Bild eine Ansammlung älterer Herrschaften, die wohl den Rolex Aufsichtsrat bei einer Abstimmung oder Ähnlichem darstellen sollten. Darunter auf Englisch zu lesen: „Es besteht also Einigkeit darin, wieder einmal – nichts – zu verändern.“

Rolex „red“ Submariner aus Anfang der 70er Jahre 

Gut, wenn ich das jetzt hier so schreibe, klingt das eher semi-lustig. Aber: es traf den Nagel auf den Kopf. Die Uhrenindustrie konnte sich ändern, wie sie wollte, Rolex blieb der Fels in der Brandung. Innovationen? Nur da, wo man es für nötig hielt. Und man es meist kaum sah. Im Uhrwerk beispielsweise.

Unter der Leitung von André Heiniger (Generaldirektor von 1963 bis 1992) und dessen Sohn Patrick (von 1992 bis 2008) fuhr die Rolex wie ein altehrwürdiges Schlachtschiff durch mal ruhigere, mal aufgewühltere Gewässer. Ganz entspannt. Die Einführung einer grünen Lünette war da noch eine der atemberaubendsten Neuerungen.

Rolex Date zum Fairplay Coup der Eishockey-WM 1961

Das Erstaunliche daran: auch wenn man darüber schmunzeln mag, in Zeiten, in denen viele andere krankten, ging dieses Konzept der Stetigkeit immer wieder auf. Zumindest von außen betrachtet.

Doch irgendwas bewog Rolex, dieser Stetigkeit 2008 ein Ende zu bereiten. Patrick Heiniger musste gehen, die genauen Gründe sind bis heute nicht bekannt. In den 103 Jahren von 1905 bis 2008 hatte Rolex genau drei Direktoren, Firmengründer Hans Wilsdorf bereits inkludiert. Ebenso viele sollten es in den darauffolgenden sechs Jahren werden! Stetigkeit sieht anders aus.

Moderne Interpretation der Red Sub: Rolex Sea-Dweller 126600 aus 2017

Seit 2014 nun räumt Jean-Frederic Dufour bei Rolex auf. Und das macht er, so scheint es, ziemlich gründlich. Mit Day-Date II, Datejust II und Sea-Dweller wurden gleich drei Modelle ersetzt, die allesamt nur wenige Jahre auf dem Markt waren. Früher eine Undenkbarkeit!

Die Datejust II ist tot. Lang lebe die Datejust 41!

Andere, wie die Explorer oder Yacht-Master II wurden zwar nicht komplett ausgetauscht, zumindest aber in Details verändert. Geradezu erschreckend: man scheint dabei auf die Wünsche der Kunden zu hören. Auch das für andere Marken schon lange eine Selbstverständlichkeit. Aber um Himmels Willen doch nicht für Rolex!

Nun mit Mercedes-Zeiger: Yacht-Master II, Jahrgang 2017

2017 nun bricht Rolex mit weiteren mehr oder minder liebgewonnenen Traditionen. Was den Katalog angeht zum Beispiel. Über Jahre galt: der neue Katalog erscheint irgendwann im November. Oder Dezember. Vor Weihnachten halt. Reicht ja auch. Und dieses Jahr? Da staunte man nicht schlecht. Bereits in Basel lag er da. Druckfrisch. Der neue Katalog 2017/2018. Mit allen Neuheiten. Und Preisliste. Ja gibt’s denn das?

Doch es geht noch weiter. Uhren, die im Frühjahr in Basel vorgestellt wurden, kommen in Spätsommer und Herbst in den Handel. Dann, wenn sie eben fertig sind. Das war so. Immer.

Und heute? Heute ist der 8. Mai und ich bearbeite gerade Bilder der neuen Sea-Dweller, welche ich bereits vergangene Woche beim Konzessionär begutachten konnte. Wohlgemerkt: kein Dummy, nein. The real deal! Anfang Mai! Die Baselworld ist gerade einmal sechs Wochen her und DIE Neuheit des Jahres liegt bei den Händlern. Das gab’s noch nie!

Leider geil: Rolex 50th Anniversary Sea-Dweller

Doch so schön das auch für mich als Endkunde ist – Rolex gibt damit eine manchmal skurril, manchmal schrullig anmutende Tradition nach der anderen auf. Und genau das macht mir Angst! Denn läuft man damit nicht Gefahr, in der Kommunikation nur noch eine Uhrenmarke unter vielen zu werden.

Ja, neuerdings lädt man sogar schon Online-Medien, Blogger, Instagramer und YouTuber ein! Einzig Rolex Deutschland hält da noch zumindest ein wenig die Tradition des Unnahbaren aufrecht. Etwa, indem sie uns auch 2017 wieder, wie in den 14 Jahren zuvor, den Zugang zur Produktvorlage verwehrten. Im Grunde möchte ich an dieser Stelle da schon fast „Danke“ sagen, für die Aufrechterhaltung dieser liebgewonnenen Tradition.

Doch auch dieser letzte Widerstand gegen die gerade in Asien und den USA schon stark vorangeschrittene Öffnung der Marke wird irgendwann dem Kampf gegen Windmühlen gleichen. Wie lange man diesbezüglich in Köln, quasi als letzte Bastion, da noch durchhält, wird man sehen.

Zwei Fragen stellen sich mir bei der Entwicklung der letzten Jahre allerdings: ist für eine Marke, die sich ihren einzigartigen Ruf in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich durch ihre Unnahbarkeit (ja man könnte es fast schon Arroganz nennen) und die marginalen Veränderungen am Produkt aufgebaut hat, so eine Änderung der Ausrichtung überhaupt notwendig? Und – tut die Aufweichung jener Grundprinzipien, jenes Mythos, ihr auf Dauer wirklich gut?

Oder anders. Gäbe es diesen extremen Kult um die Marke Rolex heute überhaupt, wenn man schon seit Jahrzehnten immer genau das produziert hätte, wonach der Endkunde gerade schreit? Rolex hat über Jahrzehnte dem Markt diktiert, wo es langgeht. Was bei Erscheinen oft belächelt wurde, wurde wenig später zum Kult. Als Beispiel soll hier einmal mehr die grüne Lünette der Jubiläums-Submariner von 2003 dienen, oder auch eine Skurrilität wie die Daytona in jenem Leoparden-Look, der später auch von anderen Herstellern aufgegriffen wurde.

Mit ihr begann der Daytona-Boom: Referenz 16520 (1988-2000) 

Rolex setzte, selbst mit kleinsten Modifikationen, immer Trends. Momentan könnte man hier und da aber eher das Gefühl erhalten, man reagiere vielmehr auf diese. Einen Edelmetall-Chronographen am Kautschukband jedenfalls kennt man bei anderen Herstellern schon lange. Und auch eine Taucheruhr in 43 Millimetern, so gelungen sie zugegebenermaßen auch ist, klingt irgendwie ein wenig wie ein Me-Too-Produkt.

2017er Rolex Daytona 116509 am Oysterflex Kautschukband

Die Einführung eines Modells wie der Sky-Dweller, quasi einer Art Über-Day-Date, in Stahl wäre noch vor Jahren undenkbar gewesen. Was treibt Rolex derzeit an? Was sind die Hintergründe einer solch ungewohnten Produktoffensive? Wenigstens bei der Antwort auf solche Fragen bleibt die Manufaktur aus Genf dann doch noch ihrer Tradition treu, reagiert so verschwiegen und unnahbar wie die Jahrzehnte zuvor.

Größte Überraschung der Baselworld 2017: Rolex Sky-Dweller in Stahl mit Weißgold-Lünette

Disclaimer: die Meinung des Autors muss nicht unbedingt der der Redaktion entsprechen. 😉

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Fotos & Text: © Percy Christian Schoeler (PCS) 2017

 

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