Einen guten Monat sind die Watches & Wonders nun her, zu deren Anlass auch Tudor mit eigenem, großem Stand in die Genfer Messehallen gereist war. In den Auslagen: ein ganzer Blumenstrauß an Neuheiten, allem voran natürlich die Tudor Black Bay Pro. Neuheiten vor denen man, jede für sich genommen, eigentlich erst einmal nur den Hut ziehen kann. Denn es handelt sich allesamt um gelungene Uhren in toller Qualität, mit hochwertiger Haptik, spannenden Manufakturwerken und das alles auch noch zu wirklich fairen Preisen.
Tudor Black Bay 31, 36, 39 & 41 S&G
Da hätten wir zum Beispiel die Tudor Black Bay S&G, eine neue Variante in Stahl und Gold, ohne Drehlünette und mit einem fünfreihigen Gliederarmband, ebenfalls in Bicolor-Optik. Die Uhren gibt es in 31, 36, 39 und 41 Millimetern, wahlweise mit schwarzem oder silberfarbenem Zifferblatt.
Alle Größen sind nun mit hauseigenen Kalibern ausgestattet, die eine Gangreserve von rund 70 Stunden bieten (im kleinsten Modell sind es immerhin noch rund 50 Stunden) und COSC-zertifiziert sind. Dank verschraubter Aufzugskrone wasserdicht bis 100 Meter, sind die rundum alltagstauglichen Uhren zu Preisen zwischen 4.600 und 4.890 Euro erhältlich.
Tudor Black Bay Chronograph S&G
Auch den beliebten Black Bay Chrono gibt es nun in einer neuen S&G Varianten mit schwarzem Blatt und champagnerfarbenen Totalisatoren oder vice versa. Wie schon die bisherigen Versionen, werden auch die neuen S&G Chronos vom Tudor Kaliber MT5813 angetrieben, das in Zusammenarbeit mit Breitling entsteht und vom dortigen B01 abgeleitet ist.
Je nach Bandvariante sind für den sogar bis 200m wasserdichten Chronographen zwischen 5.590 und 6.760 Euro zu entrichten. Zu erwähnen sei hierbei, dass nur die Mittelteile der Bandanstöße, die Millerighe-Drücker und die Lünette komplett aus 18k Gold bestehen. Aufzugskrone und Bandmittelglieder hingegen sind mit einer Goldkappe von 0,3 respektive 0,2 Millimetern Stärke bedeckt.
Tudor Black Bay GMT S&G
Ähnlich sieht dies bei der dritten Neuheit in Stahl und Gold, der Black Bay GMT S&G aus. Auch diese gibt es in drei Versionen: mit einem Band in braunem Leder, mit dem typischen Durchzugsband, gefertigt in Frankreich auf Jacquard-Webstühlen aus dem 19. Jahrhundert, oder mit einem dreireihigen Gliederarmband mit mittels Laser verzierten, sichtbaren Nietköpfen. Die Preise hier: 4.020 Euro mit Leder- oder Stoffband, sowie 5.190 Euro mit Gliederband.
Sensationelle Preise jedenfalls für die mit dem zusammen mit Kenissi entwickelten Kaliber MT5652 ausgestatteten Modelle im 41 Millimeter Gehäuse, die noch dazu in einer extrem attraktiven Optik daherkommen. Zum gewölbten, schwarzen Zifferblatt gesellt sich eine beidseitig drehbare Lünette mit einer Zahlenscheibe aus eloxiertem Aluminium in der Farbkombination von Mattschwarz für die Nacht- und Mattbraun für die Tagesstunden.
Der Look erscheint vertraut: Hallo Root Beer!
Dieser äußerst gefällige Look allerdings ist nun genau der Punkt, der langjährige Uhrenkenner ein wenig ins Grübeln geraten lassen könnte. Denn, speziell in Kombination mit dem Stahl-Gold-Armband, nimmt die neue Tudor Black Bay GMT S&G recht unverhohlen die Designmerkmale einer ikonischen Vintageuhr der eigenen Muttermarke ins Visier: die der Rolex GMT-Master „Rootbeer“, Ref. 1675/3, später 16753 bzw. auch der GMT-Master II, Ref. 16713.
Beim Anblick stellt sich daher ganz zwangsläufig die Frage: darf man das? So nonchalant und selbstverständlich? Gut, schon bei der 2018 präsentierten Stahl-Variante der Black Bay GMT mit ihrer Blau-Roten Lünette (hier geht’s zum Review) wäre diese Frage berechtigt gewesen. Doch waren damals wohl alle Uhrenfans zu sehr mit der parallel präsentierten „Stahl-Pepsi“, der Rolex GMT-Master II 126710BLRO beschäftigt und entsprechend abgelenkt. 2022 schaut die Sache nun aber eben etwas anders aus.
Tudor Black Bay Pro
Bestärkt wird der heurige Eindruck auch noch durch eine weitere Tudor Neuheit, streng genommen sogar der Tudor Neuheit 2022 überhaupt, der Tudor Black Bay Pro.
Seit Präsentation der Tudor Black Bay GMT einerseits und der in Durchmesser, vor allem aber Gehäusehöhe deutlich „abgespeckten“ Black Bay Fifty-Eight andererseits war der Wunsch nach einer Kombination dieser beiden Uhren, einer GMT im Fifty-Eight Gehäuse also, groß.
Endlich eine Tudor Black Bay GMT in 39 Millimetern
2022 erfüllt Tudor diesen Wunsch, allerdings in ganz anderer Art und Weise, als man dies erwartet hätte. Die Tudor Black Bay Pro kommt mit dem aus der GMT bekannten Kaliber MT5652 und dessen zentralem 24h- und stundenweise separat verstellbaren 12h-Zeiger. Sie ist also eine „richtige“ GMT und verfügt auch über den von der Black Bay Fifty-Eight bekannten, kleineren Gehäusedurchmesser von 39 Millimetern.
Und doch ist die Black Bay Pro eine optisch komplett eigene Variante in der Black Bay Familie geworden. Mit ihrer feststehenden 24-Stunden-Lünette in Edelstahl, den schwarz-gravierten Ziffern und ihrem Orange-Gelben 24h-Zeiger bereichert sie sich ganz klar am Designcode der legendären „Orange Hand“, der Rolex Explorer II, Ref. 1655, auf die auch gerne mal mit den Spitznamen „Freccione“ oder „Steve McQueen“ verwiesen wird.
Ist die Black Bay Pro die schönere Orange Hand?
Zugegebenermaßen, und hier führen wir die ganze Geschichte nun kurz auf eine leicht subjektive Ebene, tut sie dies besser und gefälliger, als das einstige Original dazu in der Lage war. Denn mit den runden, aufgesetzten Indexen aus leuchtender Monoblock-Keramik, die ganz ohne Umrandungen auskommen, wirkt die Optik wesentlich „runder“ als beim Rolex Pendant der 1970er Jahre.
Untypisch für eine Tudor Black Bay ist die nun vollständig überarbeitete Aufzugskrone. Diese schaut zwar besser aus und ist sicherlich auch deutlich griffiger, bricht gleichzeitig aber mit einem der typischen Design Codes der Black Bay Reihe und führt die „Pro“ ihrerseits auch noch einmal ein Stück weiter heran an die Modelle der Mutterfirma.
Große Enttäuschung in der Seitenansicht
Keine Verwechslungsgefahr hingegen besteht auch weiterhin in der Seitenansicht. Das Gehäuse der Tudor Black Bay Pro baut hoch. Sehr hoch. Die Hoffnungen auf eine Black Bay GMT im schlankeren Fifty-Eight Gehäuse also haben sich in diesem Punkt nicht erfüllt. In Verbindung mit dem nun kleineren Durchmesser wirkt die Seitenwand des Gehäuses – im Gegenteil – noch brutaler.
Eine Frage des persönlichen Geschmacks. Klar. Denn dieser Punkt führt schließlich seit Jahr und Tag bei nahezu allen Tudor Modellen zu Diskussionen. Unbequem jedenfalls trägt sich die Black Bay Pro keineswegs. Und in der Draufsicht wirkt sie wirklich wunderschön und perfekt proportioniert.
Mit 200 Metern Wasserdichtigkeit und zweiter Zeitzone ist sie ein echter Allrounder und mit einem Preis von 3.430 Euro am Leder- oder Textilband und 3.720 Euro am Stahlband ein wahrlich attraktives Angebot. Letzteres ist übrigens mit einem auf den Namen „T-fit“ lautenden Schnellverstell-System ausgestattet. So kann das Band in der Schließe bequem in 5 Positionen um insgesamt 8 Millimeter verstellt werden.
Tudor goes Rolex? Die Crux an der Sache
Blendet man die Historie der Rolex Modelle also für einen Moment vollständig aus, so kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass Tudor einmal mehr wahnsinnig attraktive Modelle zu einem unglaublichen Preis-Leistungs-Verhältnis auf den Markt gebracht hat und darüber hinaus auch den aktuellen Stahl-Gold Trend wunderbar aufgegriffen und äußerst gelungen interpretiert hat.
Das Problem bei der Sache: genau das gelingt mir nicht einmal ansatzweise. Und genau deswegen sitze ich auch jetzt, einen guten Monat nach der Watches & Wonders an meinem Schreibtisch und frage mich noch immer: was soll das, Tudor?
Quo vadis, Tudor?
Oder besser: wo wollt ihr hin? Wer wollt ihr sein? Erinnere ich mich an meine Anfangszeiten in Sachen Uhren, war die Sachlage ja ganz klar. Es gab die Rolex Submariner. Und es gab die Tudor Submariner. Uhren, die den gleichen Designcode vertraten, die eine als „the real deal“, die andere als günstigere, aber ebenfalls hochwertige Alternative. Ganz so, wie Hans Wilsdorf das eben irgendwann mal entschieden hat. Alles gut.
Dann nabelte sich die Tochter optisch radikal von der Mutter ab. Es folgte der Weg in die Bedeutungslosigkeit. Wohlgemerkt, wir sind hier noch immer bei meiner ganz persönlichen Sichtweise. Inwieweit dies auf andere Märkte und Geschmäcker zutrifft, steht daher auf einem anderen Blatt. Doch auch heute erinnere ich mich ehrlich gesagt spontan an nur wenige Modelle jener Ära.
Der Siegeszug der Tudor Black Bay
Dann kam das Jahr 2012. Und mit ihm die Tudor Heritage Black Bay. Eine Uhr, die alles verändern sollte. Ganz klar als Hommage an die Submariner konzipiert (ob nun die von Tudor oder die von Rolex sei an dieser Stelle einmal dahingestellt) nahm sie gewisse Designelemente auf, kombinierte sie aber mit einer gehörigen Portion Eigenständigkeit. Die Black Bay war Vintage und modern zugleich. Sie war cool, eben weil sie die Historie neu interpretierte. Der Schlüssel zum ganz großen Erfolg.
Schaue ich aktuell auf die Tudor Homepage, zähle ich 90 unterschiedliche Modelle, etwaige Sondermodelle nicht mitgerechnet. Eine gigantische Familie, die auch zeigt, wie gut die Abnabelung von der Muttermarke gerade mit dieser Modellreihe funktioniert hat.
Zum zehnten Geburtstag zurück zu Mutti?
Ausgerechnet zum 10-jährigen Jubiläum der ersten Black-Bay nun aber erweitert man die Kollektion mit Uhren, die mit ihrem zugegeben gelungenen Look ganz klar „zurück zu Mutti“ rufen. Und ich frage mich: war das wirklich notwendig? Nur um im gleichen Moment zu verspüren, dass gerade die Black Bay Pro bei mir ein Gefühl des Haben-Wollens auslöst, wie noch keine Black Bay zuvor. Ein Gefühl, dass ich aus Prinzip unterdrücken möchte. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Vielleicht muss man die Sache aber auch einfach anders angehen. Schließlich gehöre ich, wie wahrscheinlich der Großteil derjenigen, die meine Gedanken bis hierhin verfolgt haben, einer Generation an, die das Glück hatte, vor 15, 20 Jahren eine Vintage Uhr noch relativ sorgenfrei zu einem halbwegs akzeptablen Preis erstehen zu können. Heute sieht das nun einmal nachweislich anders aus. Die Preise steigen zu den Sternen, die Gefahr, auf Fälschungen oder Mariagen hereinzufallen ist groß. Wer heute in die Leidenschaft Uhren einsteigt, für den sieht die Realität weitaus düsterer aus als damals.
Sind wir überhaupt die Zielgruppe?
Von daher müsste die eigentliche Frage eher lauten: sind diese Uhren für wahre Rolex Hardcore-Fans gemacht? Wahrscheinlich nicht. Muss ich, müssen wir, diese dann überhaupt in eine gewisse Richtung werten? Oder sollten wir uns nicht sogar eher freuen, dass es die Möglichkeit gibt, solche Uhren zu solchen Preisen erwerben zu können? Und zwar für jeden, der dies möchte? Ohne jahrzehntelange Kaufhistorie oder ebenso lange Wartezeiten?
Tudor zumindest dürfte aktuell wohl so ziemlich alles in die Karten spielen. Wer nicht den Hauch einer Chance hat, an eine Rolex zu kommen, den kann man im eigenen Haus halten und ihm mit einer Black Bay eine attraktive Alternative bieten. Wahre Rendite-Geier wird man damit sicher nicht abholen, aber eben jene, deren Hauptwunsch es ist, einfach nur eine schöne und gute Uhr am Handgelenk tragen zu können. Und gerade das ist doch etwas, das dieser Tage viel zu kurz kommt.
Schlussgedanken
Bei all der nun aufkeimenden Euphorie, gepaart mit der Überzeugung, dass man in Genf da auch weiterhin sehr viel richtig macht, bleibt allerdings die Frage offen, in welche Richtung man mit der Marke ganz grundsätzlich in Zukunft gehen will. Weiter auf Kurs Eigenständigkeit? Oder zurück zur günstigen, optisch sehr ähnlichen Alternativen für alle, die keine Rolex bekommen oder sich diese nicht leisten können? Beides wäre für mich absolut legitim. Doch ein klarer Weg sollte erkennbar sein. Und daran mangelt es mir bei den Neuheiten 2022 ein wenig. Man darf jedenfalls gespannt sein, wohin die Reise für Tudor in den kommenden Jahren geht.
Das Video zum Review
Weitere Informationen
Mehr Informationen zu den diesjährigen Tudor Watches and Wonders Geneva 2022 Neuheiten gibt es auf der Tudor Homepage.
Fotos: © JBK (1), PCS (29) 2022
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