Chronos ist in der griechischen Mythologie der Gott der Zeit und der Lebenszeit, Kairos ist der personifizierte Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenützes Verstreichen für den Betroffenen nachteilig sein kann. So erklärt es Wikipedia, und das sind die Namen von zwei einzigartigen Segelyachten, bei denen der Name Programm zu sein scheint. Ich hatte Gelegenheit, bei den Voiles de Saint-Tropez 2014 an Bord der Chronos zu kommen und mich einmal umzuschauen.
Es ist Ende September, in Südfrankreich finden bei sommerlichen Temperaturen die jährlichen „Voiles de Saint-Tropez“ statt, ein Segelevent der Extraklasse: Mehrere hundert Boote, Klassiker aus Holz, Messing und mit schwerem Segeltuch, und moderne Kohlefaserboote bieten zum Saisonausklang eine Woche lang Regattafieber auf dem Wasser und ein umfangreiches Landprogramm.
Das Schlauchboot der Chronos holt mich an der Capitainerie ab – die Crew erkennt man gleich, so hatte es mir Andreas Steidle-Sailer, der Initiator von Sailing-Classics, am Telefon gesagt, an den blau-weiß gestreiften Polohemden.
Und so setzen wir über zur mächtigen Chronos, einem zweimastigen Spreizgaffel-Schoner, der in Sichtweite des markanten beige-rotbraunen Kirchturms von St. Tropez vor Anker liegt. Ein Schiff mit klassischen Linien, modern ausgerüstet, sicher, schnell und komfortabel. Je näher das Schlauchboot kommt, desto höher erscheint die 48 Meter lange Bordwand – aber man hat schon eine Treppe abgelassen, über die wir bequem an Deck steigen.
„Willkommen an Bord“, begrüßt mich Andreas herzlich, und als ich – wie sonst üblich – meine Bootsschuhe anziehen will, klärt er mich gleich auf Schwäbisch auf, „das hier ist eine Bafußyacht“, Schuhe unnötig. Sein Sohn ist heute auch an Bord, und schnell macht man sich und die anderen Gäste und die Crew untereinander bekannt.
26 Gäste in 13 sehr komfortablen Doppelkabinen, alle mit eigenem Bad, können sich auf der Chronos einschiffen. Allmorgendlich kümmert sich der Roomservice um die Kabine, während die Gäste an Deck oder im geräumigen Salon vom reichhaltigen Buffet frühstücken.
Fahren größere Gruppen oder Familien mit, können einige Zusatzbetten bereitgestellt werden, und neben den Dauergästen werden an Tagen wie diesen gerne auch Tagesgäste mitgenommen. Die freundliche Crew zeigt uns, welche Waschräume die Tagesgäste benutzen können und gibt eine kurze Einführung in den Tagesablauf.
Ja, das Deck ist eine wahre Erholungfläche, breite Laufflächen, viel Platz für Liegestühle, schattige Plätze entlang der Aufbauten, Staufläche für Beiboote und Freizeitausrüstung. So werden unter anderem auch komplette Tauchausrüstungen einschließlich der Möglichkeiten zur Wartung und Füllung der Flaschen mitgeführt.
Um uns herum schwirren schon Dutzende von Segelyachten, die an der Regatta teilnehmen. Sie befinden sich in der Vorstartphase, probieren Segelstellungen aus, üben Manöver – oder warten einfach nur auf das erste Vorsignal zum Start. Auf der Chronos sitzen wir hier in der ersten Reihe – bei kühlen Getränken wird gefachsimpelt, mancher wäre vielleicht lieber „drüben“ bei der Regatta, mancher genießt die Beobachtung aus sicherer Entfernung – und der eine oder andere macht es sich einfach nur bequem an Deck.
Vor der malerischen Kulisse des alten Fischerdorfes St. Tropez, dass diese Woche wieder einmal das ‚Mekka‘ des Segelsports ist, warten die Yachten auf das Startsignal zur Regatta. Mitten im Gewühl fahren Schlauchboote, Presseschiffe, Boote der Organisatoren, von Schaulustigen und – wir! Dem Kapitän der Chronos wird jetzt viel Erfahrung und Umsicht abverlangt. Ein paar Tonnen wendet man nicht mal so eben wie ein kleines Schlauchboot.
Zum Greifen nah scheinen die großen Segelschoner…
…und der ‚Bowman‘, der Mann auf dem Klüverbaum, hantiert ganz unbeeindruckt von dem, was um ihn herum vorgeht, an den Segeln.
Die ‚Elena‘ ist der Nachbau eines legendären Rennschoners von Nathanael Herreshoff.
Die ‚Kelpie of Falmouth‘ wurde frisch restauriert und verbringt ihre erste Saison im Mittelmeer.
Langsam wird es unruhig, alles formiert sich vor der imaginären Startlinie, die sich zwischen zwei ausgelegten Bojen befindet.
Glockenschlag! „Bitte alle zum Mittagessen an Deck platznehmen!“ Unter einem Sonnenschutz setzen wir uns an geräumige Tische, der Koch hat heute Wiener Schnitzel mit Gurkenkartoffelsalat auf dem Speiseplan – dazu Wein, Bier, Softdrinks, was man mag – und zum Schluss ein Eis. Was will man mehr?!
„Anker auf“ befiehlt der Kapitän. Kaum merklich schiebt der 600 PS starke Diesel das Boot durch die flache See. Wir wollen ein wenig das Regattageschehen verfolgen. Ich komme mit dem Captain ins Gespräch; er ist Holländer, hat schon mal das berühmte Brandaris Race zwischen Harlingen und Terschelling mit einem großen Klipper gewonnen – und es stellt sich heraus, dass wir gemeinsame Bekannte dort haben, so zum Beispiel den Skipper der Tijdgeest, ebenfalls eines typisch holländischen Klippers, der regelmäßig an diesem Rennen teilnimmt. Segeln auf dem Ijsselmeer oder der Waddenzee in Holland verbindet, die Welt ist klein!
Das führt mich zu der Frage, warum denn die Chronos die niederländische Flagge führt. Andreas klärt mich auf: In Holland werden Schiffe wie dieses in einer speziellen Klasse kleiner Passagierschiffe zugelassen, die einerseits professionelle Kreuzfahrten erlaubt, andererseits aber nicht die für eine Yacht dieser Größe kaum erfüllbaren Kriterien erfordert, die man an Kreuzfahrtriesen stellen müsste. Das führt fast direkt zu der Frage, was denn eigentlich das Besondere am Sailing-Classics-Konzept ist. Und in der Tat, es scheint recht einzigartig zu sein, und die überdurchschnittliche Akzeptanz scheint den Initiatoren recht zu geben: Man möchte das individuelle Segelreisen mit dem Komfort großer Kreuzfahrtschiffe verbinden. Quasi der Sundowner in privatem Kreis auf dem Achterdeck oder das Captain’s Dinner so, dass man wirklich neben ihm sitzt und ihn nicht nur aus der Ferne sieht.
Das Konzept gibt den Machern recht. Sowohl Chronos, als auch das Schwesterschiff Kairos, mit 38 Metern etwas kleiner, sind oft ausgebucht, ob im Mittelmeer oder im Winterhalbjahr in der Karibik, ob für Einzelreisende oder für Gruppen, die das ganze Schiff für ein paar Tage buchen. Es hat sich herumgesprochen, dass die Atmosphäre an Bord so privat und angenehm ist, dass man bei der Kurs- und Ankerwahl durchaus mitsprechen kann und dass die Crew größtmögliche Rücksicht auf die Wünsche der Gäste nimmt – oder sie nur einfach in Ruhe entspannen lässt, wenn sie es wünschen.
„Können wir nicht ein bisschen näher ran an die Tonne?“ Die Chronos dümpelt an einer Wendemarke der Regattabahn, und da ich viele der teilnehmenden klassischen Yachten und ihr Umfeld ein wenig kenne, darf ich mich kurzfristig als Reiseleiter einbringen und erläutern, wer da gerade um die Tonne fährt, welcher Eigner sich für diese Saison eine neue alte Yacht zugelegt hat, wie es sich anfühlt, auf einer Holzyacht mit wenigen Zentimetern Freibord Rumpf an Rumpf im Luvkampf zu liegen. Ein Boot nach dem anderen kommt um die Wendemarke gerauscht, Stimmen rufen, Hektik bei den Crews – es gilt, keine Zeit zu verlieren und vor allem nicht dem Gegner mehr Raum als unbedingt notwendig zu geben.
Schnell haben alle die Fotoapparate zur Hand – wann sieht man schon einmal so viele schöne, alte Yachten von so nah auf einer Stelle?!
Die Rainbow, der Nachbau eines Schiffes der legendären J-Class, die in den 1930er Jahren um den America’s Cup segelte.
Zwischendurch gibt’s noch eine kleine Überraschung: Der Schiffsingenieur hat heute Geburtstag, und der Koch hat natürlich die entsprechenden Geburtstagstorten vorbereitet. Unter einem Vorwand – eine Pumpe im Waschraum sei defekt, und das Wasser fließe in die Kabine – wird er an Deck gerufen und mit einem kräftigen gemeinsam Happy Birthday begrüßt. An das Ständchen schließt sich das gemeinsame Kaffeetrinken an.
Als alle Boote auf neuem Kurs Richtung Ziel segeln, ist auch für uns noch ein bisschen Zeit zum Segeln. Wer von den Gästen mag, der darf gerne aktiv mit anpacken, aber man muss nicht, die Crew kann alle Manöver auch mit „eigenen“ Kräften fahren. Schnell zieht die hydraulische Winsch alle Segel hoch, und los geht’s – DAS ists Segeln pur!
„Verbinden Sie das Beste aus zwei Welten – ein authentisches Segelerlebnis auf großen Segel-Yachten, ohne den Zwang eines fixen Routings, mit dem Komfort und Service ähnlich einer Kreuzfahrt.“ So liest man auf der Internetseite von Sailing Classics – und wenn man die Gäste fragt, hört man genau das! Es wundert daher nicht, wenn inzwischen eine dritte Yacht namens Rhea in Planung ist. Bei Wikipedia finden wir: „Den Orphikern zufolge soll Rhea mit ihrem Gatten Kronos auf der Insel der Seligen herrschen, wo das Goldene Zeitalter anhält.“ Ein gutes Omen für die neue Yacht!
Wer möchte, darf gerne beim Segelsetzen und -bergen oder bei den Segelmanövern helfen. Er muss aber nicht, jeder so, wie es ihm am liebsten ist. Man darf auch alle Viere von sich strecken und einfach nur genießen. Segeln pur!
Ich war nur einen Tag an Bord, eigentlich viel zu kurz, um alles genau zu studieren, aber immerhin lang genug, um die familiäre Atmosphäre dort zu genießen und einen Eindruck zu gewinnen, wie es an Bord der Sailing-Classics-Yacht Chronos zugeht. Am besten antworte ich mit „Kairos: der günstige Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenützes Verstreichen für den Betroffenen nachteilig sein kann!“
Wer mehr wissen will, hier gibt es zahlreiche Informationen, Törnberichte und voraussichtliche Reiserouten und Termine: www.sailing-classics.de. Auf der Bootsausstellung in Düsseldorf ist man mit einem eigenen Stand vertreten.
Text und Fotos © Gerhard Standop, Köln, 2015
www.standop.net/voiles
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