Beginnen wir mit einer Floskel. Das Bessere ist der Feind des Guten. Oder, wie es Porsche selbst in seiner offiziellen Pressemeldung zum neuen Turbo umschreibt: „911 Turbo setzt neue Referenzwerte bei Dynamik und Verbrauch“. Toll! Liest man sich durch, was der Neue alles besser kann, mag man an seinen Vorgänger eigentlich gar keinen Gedanken mehr verschwenden. Oder – doch?

DSC_3008

Knapp 800 km sind es vom schönen Wien, der Heimat meines Testobjektes, bis in den nicht minder attraktiven Rheingau. Nun stehen wir beide vor Burg Schwarzenstein, einer der schönsten Foto-Locations hier im Umkreis und ich denke mir, so out-dated schaut er eigentlich noch gar nicht aus, der noch bis September amtierende König der 911er, Baureihe 997.

Ziehen mich 997 und 991 Carrera regelmäßig mit der Schönheit ihrer klassischen dezenten Linien in ihren Bann, so macht der Turbo schon im Stand klar, dass er der große versaute Bruder ist. Er wirkt brutal, fast schon unanständig auffällig. Große Lufteinlässe wohin man schaut, am dekadentesten wohl jene an den hinteren Kotflügeln. Hier ist definitiv Schluss mit Understatement.

DSC_3002

Ein Umstand der dafür sorgt, dass es der Turbo bisher nie so wirklich auf meine virtuelle Autowunschliste geschafft hat. Andererseits, bei 3,8 Litern Hubraum, 500 PS, 650 Nm, 3,4 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 und 312 km/h Spitze, da kann man gerne auch zur Schau stellen, was man hat.

Das zumindest sind die Werte, mit denen der 997 Mk.II Turbo vor nunmehr fast vier Jahren vorgestellt wurde. Für mein heutiges Testexemplar hier gelten diese Daten nur bedingt, denn es erhielt noch einige kleine, nicht sichtbare, dafür aber umso stärker spürbare Modifikationen bei einem Besuch im unterallgäuischen Pfaffenhausen.

Doch bleiben wir erst einmal beim Visuellen. Der Mk. II unterscheidet sich von seinem Vorgänger durch größere Endrohre und natürlich die neu geformten LED Rückleuchten. Von vorne sind die Unterschiede schon schwerer auszumachen. Titanfarben lackierte Lamellen in den seitlichen Lufteinlässen und geänderte Doppelarm-Außenspiegel erkennen wohl nur echte Fans.

DSC_3011

DSC_3069

Eine Neuerung die hingegen sofort auffällt sind die 19-Zoll Turbo II Räder in Schmiedetechnik und Bi-Color Optik. Sie stehen dem meteorgrauen Turbo wirklich extrem gut und geben den Blick frei auf die riesigen Bremsscheiben. 35 cm messen sie im Durchmesser, vorne wie hinten. Wäre die optional erhältliche „Porsche Ceramic Composite Brake“ verbaut, es wären an der Vorderachse gar 38 cm.

DSC_3013

DSC_2980

Nicht ganz so ausladend dimensioniert ist, um mal ein wenig Alltagspraktikabilität einfließen zu lassen, der Kofferraum. Der Allradantrieb lässt ihn auf gerade einmal 105 Liter schrumpfen. Das reicht aber zumindest für den ausgedehnten Wochenendausflug mit zwei LV Keepalls. Zur Not ist auf der Rückbank ja auch noch ein wenig Platz denn auf Dauer sitzen wird hier niemand ernsthaft wollen.

Vorne hingegen schauen die lederbezogenen Sportsitze schon wesentlich angenehmer aus, weswegen ich mich auch sogleich in diese hineinfallen lasse. Man wird halt alt. Ein Glück also schauen die Sitze nicht nur bequem aus sondern sind es auch tatsächlich.

DSC_3044

DSC_3031

Die Armaturen wirken vertraut, neu für mich ist das Navi des Facelift Modells und die etwas modifizierten Schalter der Klimaautomatik. Das Fahrzeug verfügt über die Porsche Automatik PDK und über das optionale Dreispeichen-Sportlenkrad mit Schaltpaddles. Sie sind am Lenkrad selbst verbaut, sodass sie auch in Kurven optimal erreicht werden können. Rechts schaltet man hoch, links hinunter. Da das Fahrzeug auch über das Sport Chrono Paket Turbo verfügt, informieren Leuchtanzeigen in den Lenkradspeichen, ob man gerade im Sport bzw. Sport Plus Modus fährt und ob die Launch Control aktiv ist. Mir persönlich gefällt diese Anordnung bei weitem besser als die mitunter etwas seltsam anmutende Info-Hutze des Serienlenkrads.

Die Anzeigen des Tachos sind typisch Porsche und unmissverständlich. Per Multifunktionsdisplay lassen sich zusätzliche Daten wie etwa Reifendruck oder, besonders nett, aktueller Turbo Ladedruck abrufen.

DSC_2952

DSC_2992

Ich starte den Motor, natürlich ist das Zündschloss links, und wundere mich ein wenig. Denn so rabiat der Turbo von außen wirkt, klangtechnisch bleibt er zunächst weit hinter Carrera S oder gar Boxster S zurück. Wer auf mit Klappenauspuff vergleichbaren Sound hofft, er wird vom Turbo wohl leicht enttäuscht.

Etwaige Enttäuschung allerdings verfliegt schnell beim ersten etwas beherzteren Druck auf das Gaspedal. Es ist schon erstaunlich, wie unmittelbar mein rechter Fuß doch mit meinen beiden Mundwinkeln verbunden zu sein scheint. Aus dem debilen Grinsen komme ich jedenfalls kaum mehr heraus. Egal welche Geschwindigkeit auch gerade anliegt, beim Druck auf das Gaspedal scheinen die Autos im Spiegel spontan ihren Rückwärtsgang einzulegen. Sie verschwinden. Sehr sehr schnell.

Wow! Seit ich auch privat Porsche fahre ist mein Fahrstil wesentlich gelassener geworden. Gelassen bleibt er zwar auch im Turbo, doch auf Dauer fürchte ich, dieses Auto würde meinen Führerschein recht schnell in Luft auflösen. Die Beschleunigung ist einfach zu verlockend als dass man in Höhe der jeweiligen Geschwindigkeitsbegrenzung einfach damit aufhören möchte.

DSC_3050

DSC_3020

Wieviel Serie in dieser Urgewalt steckt und was auf die Optimierung zurück zu führen ist, ich kann es nicht sagen. Das einzige was ich sagen kann ist, dass ich es jetzt schon hasse, aus diesem Gefährt wieder aussteigen zu müssen.

Aber ganz so weit sind wir ja Gott sei Dank noch nicht. Ein, zwei Routen kenne ich schließlich hier im Rheingau, die die Wegstrecke zwischen Johannisberg und Wiesbaden um einige Kilometer und etliche Kurven verlängern.

Der aktive Allradantrieb PTM mit Porsche Stability Management hilft, die Kraft des Turbo sicher auf die Straße zu bringen. Das optionale Porsche Torque vectoring bremst das kurveninnere Hinterrad gezielt ab um das Untersteuern zu reduzieren und steigert so noch einmal die Kurvenstabilität.

Der Turbo ist so erfreulich gut zu handlen, obgleich man es – natürlich – nicht komplett übertreiben sollte. Außerdem: je schneller man fährt, desto früher ist man am Ziel. Und will man das wirklich?

DSC_2996

Nein! Trotzdem. Irgendwann erreiche ich die hessische Landeshauptstadt, in der ich nun vollkommen verbotenerweise ohne die obligatorische grüne Plakette unterwegs bin! Kontrolliert wird am heutigen Tage nicht. Noch einmal Glück gehabt. Eine solche Plakette zu erhalten würde dem 911 Turbo übrigens nicht schwer fallen. Er erfüllt mit einer CO2 Emission von 268 g/km die EU5 Norm. Mit 11,4 Litern ist der Durchschnittsverbrauch (NEFZ) angegeben, außerstädtisch gar nur mit 8,1 Litern. Ich hege den leisen Verdacht, da heute ein klein wenig drüber zu liegen.

Davon abgesehen wissen wir ja bereits aus der offiziellen Pressemeldung zum neuen Porsche Turbo, dass dieser ’neue Referenzwerte bei Dynamik und Verbrauch‘ setzt.

DSC_2964

Wobei wir wieder bei der Ausgangsfrage wären. Lohnt es sich überhaupt noch, einen Gedanken an das alte Modell zu verschwenden? Da mir dieses Ding nun seit bereits drei Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht denke ich, diese Frage zumindest für mich bereits beantwortet zu haben.

Mehr Fotos des Porsche 911 Turbo (997 Mk. II) finden Sie in unserem Forum ->

Weiterführende Links:

Vorstellung des neuen 911 Turbo S (Baureihe 991) auf luxify

Homepage Hotel & Restaurant Burg Schwarzenstein

Webspecial zum neuen Porsche 911 Turbo

DSC_2978

Fotos & Text: © Percy Christian Schoeler

Kommentare